Es wird schlimmer werden, bevor es besser werden kann
Wir mussten im vergangenen Jahr 2020 erleben, dass ein kleines, unsichtbares Virus innerhalb von ein paar Monaten unser komplettes Weltbild auf den Kopf gestellt hat. Noch zu Beginn des letzten Jahres waren wir davon überzeugt, dass sich mit unserer Technologie und unserem Wissen eigentlich alles kontrollieren lässt. Die wenigen Dinge, die sich unserer Kontrolle entzogen (wie die Folgen des Klimawandels oder der Globalisierung), ließen sich aufgrund der nicht sichtbaren Auswirkungen erfolgreich ignorieren.
Dann kam dieses Virus, das mittlerweile als SARS-CoV-2 (oder schlicht Corona) Teil unserer Alltagssprache geworden ist, und stellte alles auf den Kopf. Das Gefühl der Kontrolle wurde durch ein Gefühl der Angst, der Panik, ersetzt. Angst vor der Überforderung der Gesundheitssysteme, vor der eigenen Erkrankung, vor möglichen Langzeitfolgen, vor dem Tod und der eigenen Endlichkeit. Und all dies geschah direkt vor unserer Haustür, wir konnten es unmöglich ignorieren (die damaligen Bilder aus Italien werden vielen Menschen noch vor Augen stehen).
Das Resultat war für viele Menschen ein tiefes Gefühl der Ohnmacht gegenüber einem Gegner, mit dem man weder reden noch diskutieren kann. Auch Wissenschaft und Forschung machten im März/April/Mai letzten Jahres nicht viel Hoffnung auf einen baldigen Impfstoff, die Angst der Menschen wurde dadurch noch einmal verstärkt.
Dann kam der Sommer
Mit dem Beginn des Sommers kam das gute Wetter, wir waren wieder viel draußen und die Neu-Infektionen gingen deswegen zurück. Also taten wir wieder das, was wir Menschen ziemlich gut können, wir ignorierten nach Kräften und redeten uns die Situation schön. Sicher, es gab Warnungen, dass das SARS-CoV-2-Virus noch unterwegs sei und dass man immer noch sehr aufpassen müsse. Aber, Hand aufs Herz, wie viele von uns haben das im Juli/August/September eigentlich wirklich noch geglaubt?
Auch manch ein Politiker und mancher Wissenschaftler fingen auf einmal damit an, die Gefahr kleinzureden und stellten in Frage, dass die eigentlich erwartete zweite Welle im Herbst kommen würde.
Dieser allgemein vorherrschende Optimismus, schwungvoll unterstützt durch eine große Anzahl von Corona-Leugnern in den sozialen Medien, sorgte dann letztlich dafür, dass es im Sommer kaum noch ernsthafte Eindämmungs-Bestrebungen der Politik gegeben hat. Woraus man der Politik übrigens keinen Vorwurf machen kann, härtere Eindämmungs-Maßnahmen wären zu diesem Zeitpunkt, zumindest in Demokratien westlichen Zuschnitts, kaum durchsetzbar gewesen.
Durchsetzbar wurden striktere Eindämmungs-Maßnahmen in den europäischen Ländern erst dann, als der offensichtliche Beginn einer zweiten (stärkeren) Welle sich so ab Anfang/Mitte Oktober beim besten Willen nicht mehr ignorieren ließ.
Wo wir heute stehen
Heute stehen wir an einem Punkt, an dem sich diese Maßnahmen so langsam auswirken und die Neu-Infektionen abzusinken beginnen. Allerdings sinken Sie von einem extrem hohen Niveau derzeit nur auf ein immer noch viel zu hohes Niveau ab, und das sollte uns eigentlich zu denken geben. Wie also geht es jetzt weiter?
Im Moment reißen so ziemlich alle europäischen Länder die vom deutschen Robert-Koch-Institut ursprünglich einmal zur Einstufung als Risikogebiet festgelegte Wocheninzidenz von 50 Neu-Infektionen pro 100.000 Einwohner. Unter einen Wert von 150 kommt kaum noch ein Land, manche liegen noch deutlich höher.
Wir haben uns an diese täglichen Zahlen dermaßen gewöhnt, dass wir darüber leicht einmal vergessen, welche Auswirkungen das eigentlich hat. Denn von 100 Neu-Infizierten werden in den nächsten Wochen 6 bis 10 so schwer erkranken, dass sie in einer Klinik betreut werden müssen. Und 1 bis 2 dieser 100 Neu-Infizierten werden an der Erkrankung versterben. Sie können sich leicht selbst ausrechnen, was das für die jeweiligen Neu-Infektionen des jeweiligen Tages in Ihrem Land bedeutet.
Die Abhängigkeit der Wochen-Inzidenz von den Tests
Die Wochen-Inzidenz pro 100.000 Einwohner ist eigentlich nur eine Kennzahl, die die Anzahl der Neu-Infektionen der jeweils letzten Woche in einem Land oder einer Region angibt. Sie sagt nichts darüber aus, wie viel getestet wurde und wie viele der positiv getesteten Personen asymptomatisch oder nur leicht symptomatisch sind.
Aber die Anzahl der durchgeführten Tests ist ziemlich wichtig, weil sie einen Einfluss auf die Dunkelziffer der unerkannt Infizierten hat und damit auf die Kontrollierbarkeit der Pandemie hat. Gerade Länder wie Luxemburg oder Deutschland kontrollieren die Entwicklung durch die hohe Testanzahl besser als die meisten anderen Länder.
Grundsätzlich lässt sich anhand der Fallsterblichkeit herausfinden, wie viele der erkannten Infektionen einen schweren Verlauf haben. Und dadurch lassen sich Rückschlüsse auf die Klinikbelegung und die Dunkelziffer ziehen. Man könnte beispielsweise die Wochen-Inzidenz mit die Fallsterblichkeit gewichten, um als Resultat einen Index zur besseren Vergleichbarkeit von Ländern zu bekommen. In der Grafik sieht so etwas dann so aus (wie Sie sehen, schneidet gerade Luxemburg nach einer solchen Gewichtung deutlich besser ab).
Mehr Informationen zur Berechnung eines solchen Vergleichswertes finden Sie übrigens im Artikel Ein Vorschlag zur europäischen Vergleichbarkeit der Wochen-Inzidenz in diesem Blog, mehr Informationen zur Wichtigkeit der Dunkelziffer gibt es im Artikel Die Bedeutung der Dunkelziffer.
Die Übersterblichkeit in Europa
Ich möchte an dieser Stelle auch gleich noch darauf eingehen, dass vielfach in Kommentaren auf die angeblich nicht vorhandene Übersterblichkeit in einigen europäischen Ländern eingegangen wird. Denn mit einer geschickten Wahl der Vergleichsperiode lässt sich das durchaus so darstellen. Aber in Europa werden diese Zahlen von EuroMOMO (das steht für das „European Mortality Monitoring Project“) recht gut erfasst, und sie liefern ein klares Bild.
Hier ist sehr klar ersichtlich, das im Jahr 2020 die Übersterblichkeit erheblich über der der vergangenen Jahre liegt. Sicherlich kann man an dieser Stelle über Todesursachen (mit oder an Corona, fehlende Grippewelle durch Maskentragen, weniger Verkehrsunfälle durch weniger Verkehr usw.) diskutieren, aber die Todeszahl als solche bedarf vermutlich keiner weiteren Diskussion.
Und leider ist das noch nicht einmal die ganze Wahrheit. Denn die Neu-Infektionen des Monats Dezember werden in den allermeisten Fällen erst im Januar in den Sterbefall-Zahlen auftauchen.
Die wöchentlich aktualisierten Zahlen von EuroMOMO finden Sie übrigens hier. Internationale Zahlen gibt es bei OurWorldInData, Economist und New York Times. Sie zeigen alle eines, und zwar dass eine Übersterblichkeit aufgrund von Corona existiert.
Wie geht es jetzt weiter
In den letzten Wochen gab es zwei gute Neuigkeiten. Die eine war die Zulassung des ersten Impfstoffes von BioNTech/Pfizer gegen die Covid-19-Erkrankung und der Beginn der Impfungen. Zumal auch die nächsten beiden Impfstoffe von Moderna und AstraZeneca in den nächsten Wochen zugelassen werden dürften und die Verfügbarkeit der Impfungen damit zunehmen sollte. Die andere ist die Verlangsamung des Infektionsgeschehens in den meisten europäischen Ländern aufgrund der in den letzten Wochen ergriffenen Maßnahmen.
Leider haben diese guten Neuigkeiten aber auch wieder einen gewissen Optimismus hervorgerufen. Als Folge davon werden die Rufe nach Lockerungen wieder lauter und die Corona-Leugner und –Schönredner wieder aktiver. Und das ist in der jetzigen Situation eher schlecht, weil es eigentlich keinen Grund für diesen Optimismus gibt.
Impfungen brauchen viel Zeit
Sicher, die Verfügbarkeit von Impfstoffen stellt einen Ausweg aus der Krise dar. Aber nicht morgen oder übermorgen. Bis genügend Menschen geimpft sind, werden noch viele Monate vergehen. Und bis dahin wird sich an den Abstands- und Hygiene-Maßnahmen nicht sehr viel ändern können, weil (nach allem, was wir derzeit wissen) geimpfte Personen zwar vor einem schweren Verlauf einer Covid-19-Erkrankung geschützt sind, sich aber immer noch mit dem SARS-CoV-2-Virus infizieren und andere Menschen anstecken können.
Die geringe Anzahl der Neu-Infektionen ist trügerisch
Die geringere Anzahl der Neu-Infektionen spiegelt höchstwahrscheinlich keine signifikante Änderung im Infektions-Geschehen wieder, sondern dürfte hauptsächlich mit der geringeren Testanzahl während der Feiertage zusammenhängen. Aus den Zahlen ist leicht ersichtlich, dass die Anzahl der Tests abnimmt, während der Anteil der positiven Tests zunimmt. Zusammen ist das ein deutlicher Hinweis darauf, dass schlicht weniger asymptomatische, präsymptomatische und leicht symptomatische Infektionen gefunden werden und die Dunkelziffer damit ansteigt.
Die neuen SARS-CoV-2-Varianten
In Großbritannien und Südafrika sind in den letzten Wochen zwei neue SARS-CoV-2-Mutationen aufgetaucht, die uns zu denken geben sollten. Nach den bisherigen Informationen sollte die Impfung auch gegen diese Varianten wirksam sein und sie rufen auch keine schwereren Erkrankungen hervor. Aber sie sind offenbar um bis zu 50 Prozent infektiöser als die bisherigen Virus-Varianten.
Für die Interessierten: Der britische Epidemiologe Adam Kucharski (Autor des sehr lesenswerten Buches Das Gesetz der Ansteckung) hat in diesem Twitter-Thread einmal vorgerechnet, warum ein um 50 Prozent ansteckenderes Virus ein deutlich größeres Problem als ein um 50 Prozent tödlicheres Virus darstellt.
Solche infektiöseren Mutationen eines Virus setzen sich in der Evolution normalerweise recht schnell durch. Das zeigen viele frühere Beispiele anderer Viren und das zeigen auch die beiden neuen SARS-CoV-2-Mutationen in Großbritannien und Südafrika. Das bedeutet jetzt nicht, dass wir deswegen in Panik verfallen sollten. Aber es bedeutet, dass wir vermutlich einige schnelle Reaktionen ins Auge fassen müssen, um diese Varianten an einer zu schnellen Verbreitung zu hindern.
Mehr über diese beiden Mutanten finden Sie bei Interesse übrigens auch im Artikel Die weitreichenden Folgen der neuen SARS-CoV-2-Varianten vom 28. Dezember 2020 in diesem Blog.
Die Verbreitung und ein mathematisches Problem
Wenn wir uns Gedanken über das SARS-CoV-2-Virus machen, dann sollten wir eines nicht vergessen. Ein Virus ist kein Lebewesen, es verfügt über keinen eigenen Stoffwechsel, es hat keinerlei Gefühle und Gedanken und es kann sich nicht fortpflanzen. Sein einziges evolutionäres Ziel besteht darin, möglichst viele Kopien von sich selbst herzustellen. Dazu benötigt es einen Wirt, und im Falle des SARS-CoV-2-Virus sind wir, die Menschen, dieser Wirt.
Weil Viren eben keinen Unterschied zwischen Menschen machen (Wirt ist Wirt) und ihre Übertragung recht einfachen Gesetzmäßigkeiten unterliegt, lässt sich diese Übertragung recht einfach erklären. Eine Übertragung wird dann stattfinden, wenn eine bereits infizierte Person auf eine oder mehrere noch nicht infizierte Person(en) trifft und sich das Virus über Tröpfchen/Aerosole von einer infizierten zu einer nicht infizierten Person bewegen kann. Ideal funktioniert das übrigens in geschlossenen Räumen, in denen sich mehrere Menschen über einen längeren Zeitraum hinweg aufhalten.
Wenn Sie sich also zusammen mit 10 anderen Personen für zwei Stunden in einem geschlossenen Raum aufhalten, dann werden Sie sich mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit mit dem SARS-CoV-2-Virus infizieren, wenn unter diesen zehn Personen eine infizierte ist. Mit Schutzmaßnahmen (Masken, Belüftung, Trennwände usw.) können Sie das Risiko etwas verringern, ausschließen können Sie es nicht.
Das lässt sich so auf jede beliebige Situation übertragen, in denen Menschen aufeinandertreffen. Jedes Treffen zwischen zwei oder mehr Personen beinhaltet ungeachtet aller Schutzmaßnahmen immer das Risiko einer Virus-Übertragung, lediglich die Wahrscheinlichkeit dieser Übertragung variiert.
Nehmen wir also, rein hypothetisch natürlich, einmal an, Sie hätten sich während der vergangenen Festtage mit vier Personen zu einem gemütlichen Abendessen getroffen. Sie haben in einem Innenraum gesessen, gegessen, getrunken und geredet und jeweils über zwei bis drei Stunden (natürlich ohne Maske, wie soll man sonst auch essen und trinken) zusammengesessen.
Wenn sich in dieser hypothetischen Situation (die vermutlich viele von uns genau so erlebt haben) nun eine aktiv infizierte Person befunden hätte, dann wäre Ihr persönliches Ansteckungsrisiko ziemlich nahe an 100 Prozent gewesen. Womit sich die Frage, ob Sie sich möglicherweise infiziert haben könnten, darauf reduziert, wie hoch die Wahrscheinlichkeit einer infizierten Person während eines Ihrer zwei Abendessen denn nun eigentlich ist.
Wenn wir als Datum Ihres hypothetischen Abendessens den 25. Dezember 2020 annehmen, dann gab es zu diesem Zeitpunkt laut Angaben des luxemburgischen Gesundheitsministeriums hierzulande 5.929 aktiv infizierte Personen (also Personen, die das SARS-CoV-2-Virus aktiv weitergeben können). Diese knapp 6.000 Personen können wir schon einmal von Ihrer Einladungsliste streichen, denn sie wissen von ihrer Infektion, befinden sich derzeit in Quarantäne und wären damit wohl kaum Ihr Wunschkandidat für ein Abendessen gewesen.
Uns interessiert hier also eher die ominöse Dunkelziffer, also die Zahl der aktiv Infizierten, die aufgrund (noch) fehlender Symptome nie getestet worden sind (mehr zur Dunkelziffer lesen Sie hier in diesem Blog) und nichts von ihrer Infektion ahnen. Von diesen unerkannt Infizierten dürfte es in Luxemburg noch einmal so ungefähr die gleiche Anzahl geben, am 25. Dezember also ebenfalls so rund 6.000 Personen oder rund 1 Prozent der Bevölkerung.
Sie hätten also bei einem Zusammentreffen mit drei anderen Personen rein rechnerisch eine Chance von rund 3 Prozent, dass sich in Ihrer Gesellschaft eine aktiv Infizierte Person befindet. Oder, anders ausgedrückt, bei einem von 33 Abendessen dieser Art haben sich am 25. Dezember vermutlich jeweils 3 Menschen mit dem Corona-Virus infiziert.
Wenn also im ganzen Land am 25. Dezember 2020 insgesamt 1.000 dieser Abendessen stattgefunden haben, dann haben sich während dieser eintausend Abendessen voraussichtlich ungefähr 90 Menschen mit dem SARS-CoV-2-Virus infiziert und dürften in diesen Tagen in der Statistik auftauchen. Das ist keine Prognose, sondern das Resultat einer einfachen Wahrscheinlichkeitsrechnung.
Warum es zunächst einmal schlimmer werden wird
Wir wissen, dass es über die Festtage zu Weihnachten und Silvester vermehrt zu privaten Treffen (wie dem oben beschriebenen hypothetischen) gekommen ist. Und wir wissen aus Presse- und Polizei-Berichten auch, dass es nicht in allen Fällen bei diesen kleinen, legalen Treffen geblieben ist.
Und wir wissen deswegen auch, dass wir ab der kommenden Woche (also ab dem 4. Januar 2021) eine Steigerung der Neu-Infektionen bei einer gleichzeitig steigenden Anzahl von Tests sehen werden. Daran ist nichts Geheimnisvolles, diese Steigerung ist einfach das Ergebnis der sozialen Interkationen über die Festtage zu Weihnachten und Silvester. Diese Entwicklung wird in Luxemburg ebenso wie in anderen europäischen Ländern eintreten. Und daran lässt sich auch nichts mehr ändern, weil diese Infektionen bereits stattgefunden haben.
Interessanter („interessant“ im Sinne des chinesischen Fluchs „Mögest du in interessanten Zeiten leben“) wird es in den Wochen nach dem 18. Januar 2021 werden. Denn dann werden wir so langsam sehen können, wie sich die Situation nach der Wiederaufnahme der Arbeit in den Betrieben und nach der (eventuellen) Wiedereröffnung der Geschäfte am 11. Januar und der Cafés und Restaurants am 16. Januar weiterentwickelt. Bis spätestens Ende Februar dürfte sich auch hierzulande die SARS-CoV-2-Variante B.1.1.7. in der Bevölkerung verteilt haben und für einen weiteren Anstieg der Zahlen sorgen.
Alles in allem würde ich davon ausgehen, dass wir (bei Beibehaltung der derzeitigen Maßnahmen-Planung) bis mindestens Ende März mit teils kräftig ansteigenden Zahlen rechnen sollten.
Auch die Situation in den Kliniken (die dem Infektions-Geschehen immer um ein bis zwei Wochen hinterherhängt) dürfte sich in den nächsten Wochen eher noch verschlechtern. An den bereits bestehenden Personal-Engpässen wird sich auch durch die ersten Impfungen nicht sehr viel ändern. Je nach Entwicklung bei den Impfstoffen (hauptsächlich bezüglich der Infektiösität nach Aufbau des vollständigen Immunschutzes und der Verfügbarkeit der Impfstoffe) dürfte sich die Personal-Situation frühestens in ungefähr 6 Wochen zu entspannen beginnen. Bis dahin dürfte sich die Belastung in den Kliniken eher verschlimmern, es könnte also auch in Luxemburg’s Kliniken durchaus zu Triage-Situationen kommen.
Deswegen werden wir meines Erachtens um einige weitere Maßnahmen (bzw. die Verlängerung bestehender Maßnahmen) wohl kaum herumkommen, wenn wir den Anstieg einigermaßen unter Kontrolle halten möchten.
Was wir jetzt tun sollten
Bislang haben die in Luxemburg ergriffenen Maßnahmen ziemlich gute Ergebnisse gezeigt, besonders die Teststrategie mit einer, gemessen an anderen Ländern, enorm hohen Anzahl an Tests hat dafür gesorgt, dass hierzulande die Dunkelziffer weitgehend unter Kontrolle ist (mehr über die Wichtigkeit dieser Dunkelziffer finden Sie im Artikel Die Bedeutung der Dunkelziffer in diesem Blog).
Aber die in Großbritannien und Südafrika neu aufgetauchten SARS-CoV-2-Varianten (deren Gefährdungspotential das European Centre for Disease Prevention and Control ECDC am 29. Dezember 2020 als ‚hoch‘ eingestuft hat) und die weite Verbreitung des Virus in der luxemburgischen Bevölkerung erfordern vermutlich ein paar Anpassungen dieser Strategie (mehr über diese Varianten finden Sie im Artikel Die weitreichenden Folgen der neuen SARS-CoV-2-Varianten in diesem Blog).
Im Prinzip gibt es einige Punkte, an denen wir in Luxemburg eine andere Strategie wählen bzw. die bestehenden Beschränkungen verlängern sollten. Ein in den nachfolgenden Absätzen angesprochenes Mittel dazu sind Antigen-Schnelltests, über die Sie im Artikel Antigen-Schnelltests – Game-Changer oder trügerische Hoffnung? in diesem Blog weitere Informationen finden können.
Schulen
Ein grundlegender Fehler in der Pandemie-Bekämpfung lag hierzulande in der Ignoranz des Bildungsministeriums gegenüber der Rolle von älteren Schülern im Infektionsgeschehen. Das halsstarrige Zurückziehen auf das Mantra „In den Schulen steckt man sich nicht an“ und das Festhalten an einem geregelten Schulbetrieb dürfte einer der Haupttreiber der Pandemie in den Sommermonaten und mitverantwortlich für die breitflächige Verteilung des Virus in der Bevölkerung gewesen sein.
Um diesen Fehler nicht zu wiederholen, sollte für alle Schüler ab 14 Jahren eine strikte Klassentrennung in zwei Gruppen vorgenommen werden. Diese Gruppen sollten dann jeweils abwechselnd eine Woche im Präsenz- und eine Woche im Fernunterricht unterrichtet werden. Während des Präsenzunterrichts sollte permanente Maskenpflicht und Abstandsregeln gelten.
Jeder Schüler im Präsenzunterricht und jeder Angehörige des Schulpersonals sollte täglich vor dem Eintritt in das Schulgebäude einen Antigen-Schnelltest absolvieren. Ein Zutritt wäre dann nur mit einem negativen Resultat möglich, ein positives Resultat zieht die sofortige Quarantäne (mit PCR-Test nach 5 Tagen und Beendigung der Quarantäne bei negativem Ergebnis) nach sich.
Dieses System sollte jetzt geplant und bis zu den Sommerferien aufrechterhalten werden.
Einreise
Bei Einreisen mit dem Flugzeug sollten verpflichtende Antigen-Schnelltests bei jedem Einreisenden vorgenommen werden. Ein solches Konzept sollte vorsehen, dass alle Passagiere eines bestimmten Fluges in ein Ankunftsgate gehen und dieses Gate erst nach Vorliegen der Testergebnisse aller Passagiere verlassen dürfen.
Die Einreise sollte nur dann ermöglicht werden, wenn alle Passagiere ein negatives Ergebnis aufweisen. Im Falle eines positiven Testergebnisses bei einem Passagier sollten alle Passagiere des betreffenden Fluges unter Quarantäne gestellt werden. Die Quarantäne sollte grundsätzlich 14 Tage lang dauern und kann bei Vorliegen eines negativen PCR-Tests vorzeitig nach 5 Tagen beendet werden.
Das derzeitig für Luxemburg geplante System mit freiwilligen Antigen-Schnelltests und PCR-Tests dürfte für die Zukunft eher keine ausreichende Kontrolle sicherstellen, zumal der Flughafen vor Vorliegen des Resultats verlassen werden kann.
Eine vollständige Kontrolle aller Einreisenden auf allen Verkehrswegen ist kaum machbar, aber eventuell ließen sich ähnlich Konzepte auch für Einreisen mit anderen Fernverkehrsmitteln (Bus, Zug, Schiff) entwickeln.
Öffentliche Gebäude, Kliniken, Altersheime
Jeder Zutritt zu öffentlichen Gebäuden und Einrichtungen mit vulnerablen Menschen sollte nur nach Absolvierung eines Antigen-Schnelltests mit negativem Resultat möglich sein. Ein positives Resultat sollte eine sofortige Quarantäne (mit PCR-Test nach 5 Tagen und Beendigung der Quarantäne bei negativem Ergebnis) nach sich ziehen.
Auch hier sollten wir davon ausgehen, dass die Maßnahmen bis wenigstens zu den Sommermonaten aufrechterhalten werden müssen.
Cafés und Restaurants
Eine Öffnung von Cafés, Bars, Clubs etc. erscheint mir angesichts des derzeitigen Infektions-Geschehens als unmöglich. Und daran wird sich vermutlich bis zum Beginn der wärmeren Jahreszeit und der damit verbundenen Nutzung von Terrassen auch kaum etwas ändern. Hier wird der Staat einspringen und eine vernünftige Unterstützung der Betreiber organisieren müssen.
Eine Öffnung von Restaurants über den Außer-Haus-Verkauf hinaus wäre hingegen vermutlich vertretbar, wenn die bisherigen Regelungen (Tischabstand, maximalen Gästeanzahl pro Tisch) bestehen bleiben und zusätzlich eine maximale Aufenthaltsdauer (z.B. 2 Stunden) festgelegt wird.
Einzelhandel
Eine vollständige Wiederöffnung der Geschäfte ab dem 11. Januar 2021 erscheint durchaus vertretbar, sofern einige Beschränkungen bestehen bleiben (Maskenpflicht sowie maximale Kundenanzahl, z.B. 1 Kunde pro 10 m² Verkaufsfläche).
Für Einkaufszentren und Fußgängerzonen sollten Konzepte erarbeitet werden, die einen zu großen Andrang aufgrund von Werbe- und Marketingaktionen verhindern können.
Grundsätzlich gilt für ein kleines Land wie Luxemburg, dass eine Schließung der Geschäfte (bzw. eine Einschränkung auf den Verkauf bestimmter Produktgruppen) spätestens dann nicht mehr sinnvoll ist, wenn Geschäfte im grenznahen Ausland wieder komplett geöffnet werden.
Fazit
Momentan ist die tatsächliche Situation in der Corona-Pandemie in ganz Europa relativ unklar, weil über die Feiertage die Anzahl der Tests in den europäischen Ländern stark zurückgegangen ist. Die Auswirkungen des Verhaltens der Menschen während der Feiertage auf das Infektions-geschehen wird sich erst in den nächsten zwei Wochen in den Zahlen abzeichnen. Die Entwicklung in den Kliniken hängt dem Infektions-Geschehen dann noch einmal um ein bis zwei Wochen hinterher.
Allerdings ist schon jetzt absehbar, dass sich die Lage in den nächsten Wochen nicht zum Besseren entwickeln wird. Viele Wissenschaftler warnen, auch angesichts der neu aufgetauchten und deutlich infektiöseren SARS-CoV-2-Varianten, davor, dass die kommenden drei Monate die bisher schlimmsten in dieser Pandemie werden könnten.
Leider ist damit zu rechnen, dass sich die neuen Virus-Varianten (insbesondere die Variante B.1.1.7., mehr dazu hier in diesem Blog) in Europa durchsetzen werden. Ob es tatsächlich dazu kommt, dürfte sich unserer Kontrolle entziehen, da diese Varianten bereits in vielen Ländern Europas präsent sind. Aber wie schnell diese Varianten sich ausbreiten können, hängt von den Maßnahmen ab, die jetzt getroffen werden.
Die luxemburgische Regierung hat bisher (abgesehen von der Schulpolitik, siehe oben) die Pandemie ziemlich erfolgreich unter Kontrolle gehalten. Deswegen ist es jetzt sehr wichtig, Maßnahmen wie die oben skizzierten zu treffen. Ansonsten dürfte uns in den nächsten Monaten eine unangenehme Entwicklung der Corona-Pandemie bevorstehen. In diesem Fall könnten dann durchaus noch härtere Maßnahmen notwendig werden, um eine Überlastung der Klinik-Kapazitäten zu vermeiden.
In eigener Sache: Wenn Ihnen dieser Artikel gefällt, dann können Sie mir das Schreiben und Recherchieren gerne mit einem Kaffee oder einer kleinen Spende versüßen. Eine Möglichkeit dazu finden Sie auf der Seite Buy me a coffee.
Wie denken Sie darüber? Haben Sie Anmerkungen oder andere Ideen zu diesem Thema? Oder sehen Sie es ganz anders? Schreiben Sie es mir in den Kommentaren.
Hallo Herr Nehring, wie immer intressant Ihre Überlegungen zu lesen. Ich hoffe, dass sie zu pessimistisch sind. Leider hat niemand derzeit eine Glaskugel….
Ich glaube dass es nicht extrem viele Verschwörungstheoretiker gibt hierzulande, allerdings machen die Social Media die Verbreitung ihrer Positionen einfach. Nur gut dass relativ wenige Leute sich solidarisieren. Ich spreche nicht von deenen die sich von den Restriktionen einfach überfordert spüren.
Eine Verständnisfrage in Ihren Ausführungen: bei den Restaurants sprechen Sie von einem „Ausser-
Haus“-Konzept mit Abstand, Gäste-Zahl-Beschränckung. Was meinen Sie damit?
Danke im Voraus
Hallo Herr Goelhausen, vielen Dank für Ihren Kommentar. Grundsätzlich hoffe ich eigentlich selber, dass ich zu pessimistisch bin.
Allerdings muss ich auch zugeben, dass ich die ursprüngliche Version des Artikels etwas abgeschwächt habe, weil ich nicht zu pessimistisch dastehen wollte….hauptsächlich ist das bei den Schulen geschehen, deren Öffnung ich im Moment als hochproblematisch ansehe (der Deutsche Realschullehrerverband hat dazu gerade folgendes vorgeschlagen: Präsenzunterricht bis zu einer Wochen-Inzidenz von 50, A/B-Wechselunterricht ab 50 und kompletter Fernunterricht ab 100, für Luxemburg könnten diese Grenzwerte aufgrund der Teststrategie wohl etwas höher ausfallen)
Was die Verschwörungstheoretiker und Querdenker hier in Lux betrifft, haben Sie sicherlich recht. Echte gibt es nur wenige, aber die paar, die es gibt, haben durch die sozialen Medien einen sehr großen Zulauf von Menschen, die einfach nur etwas Beruhigung und Schönrednerei suchen. Letztlich wird’s da an uns allen liegen, immer und immer wieder mit Argumenten und Fakten auf die Gefährlichkeit der Situation hinzuweisen und den Querdenkern den „Spaß an der Sache“ ein wenig zu verderben.
Bei den Restaurants meine ich im Prinzip folgendes: ich denke, dass man den Restaurants (neben dem Außer-Haus-Verkauf) wieder die Möglichkeit zum Empfang von Gästen bieten sollte. Für mich würde eine Regelung Sinn machen, in der ein Abstand zwischen den Tischen (ich würde 3m vorschlagen, idealerweise mit Plexiglas-Trennern zwischen den Tischen), eine maximale Anzahl von 4 Personen pro Tisch und eine maximale Aufenthaltsdauer von 1,5 oder 2 Stunden festgelegt wird. Die maximale Aufenthaltsdauer ist dabei m.E. wichtig, damit die (geöffneten) Restaurants nicht als Ersatz für die (geschlossenen) Cafés dienen können.
Die davon ausgehende Gefahr für das Infektions-Geschehen dürfte kaum größer als bei zuhause organisierten Abendessen sein, und man ermöglicht den Menschen damit zumindest etwas Normalität. Und das wiederum verringert die Gefahr privat organisierter Treffen dann vielleicht etwas und verlagert solche Treffen in einen „kontrollierbaren“ Bereich.
Liebe Grüße