Corona

Ein Blick auf die Lage in Europa

Dies ist eine Übersetzung eines englischsprachigen Artikels von Deepti Gurdasani, die ich mit ihrer freundlichen Genehmigung hier im Blog veröffentliche. Sie können (und sollten) ihr auf Twitter unter https://twitter.com/dgurdasani1 folgen. Etwaige Übersetzungsfehler und Ungereimtheiten in der Übersetzung gehen allein auf mein Konto.

Ein kurzer Blick auf das, was zumindest in einigen Teilen Westeuropas passiert, wo die Fälle in die Höhe schnellen.

Es scheint eine Kombination zu sein aus:

  • Schulbedingter Anstieg aufgrund mangelnder Abhilfemaßnahmen
  • Verfrühte Lockerung von Beschränkungen
  • Übermäßiges Vertrauen in Impfstoffe
  • Mangel an vielschichtigen Strategien

Österreich

Es besteht kein Zweifel, dass Kinder und Jugendliche die Pandemie vorantreiben. In Österreich wurde bei der Wiedereröffnung der Schulen im September die Maskenpflicht in Klassenzimmern ausgesetzt und durch dreimaliges wöchentliches Testen ersetzt.

Außerdem wurden die Quarantänevorschriften gelockert, indem geimpfte Kontaktpersonen ausgenommen wurden und die Quarantäne durch Test und Entlassung nach dem fünften Tag verkürzt wurde. Der Schwerpunkt sollte auf einer besseren Belüftung und Luftreinigung liegen, doch scheint dies nicht verwirklicht worden zu sein.

Leider ist die Durchimpfungsrate in Österreich insgesamt immer noch recht niedrig, mit einer ähnlichen Durchimpfungsrate wie im Vereinigten Königreich (67%). Während in öffentlichen Verkehrsmitteln, im Einzelhandel und in kulturellen Einrichtungen (Museen, Theater) eine Maskenpflicht besteht, muss sie in anderen Bereichen nicht angewendet werden.

Niederlande

Auch hier finden sich die meisten Fälle bei Kindern im Schulalter. Die Niederlande haben einige der schlechtesten Schutzmaßnahmen in Schulen (möglicherweise sogar vergleichbar mit dem Vereinigten Königreich), und die Übertragung durch Aerosole scheint in den Leitlinien keine Rolle zu spielen.

Wie im Vereinigten Königreich müssen alle Kontaktpersonen in Schulen nicht unter Quarantäne gestellt werden, es sei denn, es handelt sich um einen großen Ausbruch. Ausnahmen gelten auch für geimpfte Kinder. Keine Masken, keine soziale Distanzierung in den Klassenzimmern. Und unzureichende Beachtung der Belüftung.

73 % der Gesamtbevölkerung und 60 % der 12- bis 17-Jährigen haben 2 Dosen erhalten. Die höhere Durchimpfungsrate bei Kindern der Sekundarstufe könnte erklären, warum die Raten nicht höher sind.

Andere Maßnahmen: Bis vor kurzem waren Masken nur in Verkehrsmitteln und Geschäften vorgeschrieben – jetzt werden sie auch in anderen Innenräumen verwendet.

In den Niederlanden gibt es einen Coronapass (Impfpass), der für Konzerte, große Versammlungen und Essen in geschlossenen Räumen gedacht ist, aber er wird nicht so häufig verwendet wie in anderen Ländern (z. B. Italien, Frankreich), wo die Verwendung in vielen Bereichen sehr streng ist.

Dänemark

Die Infektionsraten sind am höchsten bei 20-29-Jährigen und 10-19-Jährigen. Am 10. September hob Dänemark alle inländischen Corona-Beschränkungen auf (einschließlich Impfpässen für große Versammlungen), da 70 % der Bevölkerung geimpft waren. Der Rest ist (völlig vorhersehbare) Geschichte.

Deutschland

Die Impfung in Deutschland verlief langsam, die Impfquote ist jetzt ähnlich hoch wie im Vereinigten Königreich (67 %). Auch Kindern wurde die Impfung erst recht spät angeboten. Deutschland hat sich stark auf die Impfpässe verlassen (2G- oder 3G-Beschränkungen). Im Oktober wurden die Maskenanforderungen in einigen Schulen gelockert.

Die Zahl der Fälle scheint in den jüngeren Altersgruppen besonders hoch zu sein, ist aber generell in allen Gruppen hoch.

Es ist erwähnenswert, dass dieser Anstieg der Fälle leider auch zu einem Anstieg der Todesfälle führt. In Deutschland gibt es jetzt ca. 200 Todesfälle pro Tag, möglicherweise auch deshalb, weil die Durchimpfungsrate in den gefährdeten Altersgruppen zwar hoch ist, aber immer noch niedriger als in anderen Ländern wie dem Vereinigten Königreich.

Italien, Frankreich, Portugal

Italien, Frankreich und Portugal haben sehr strenge Maßnahmen in den Schulen beibehalten und haben höhere Impfquoten, deswegen ist die Fallanzahl nach wie vor gering. In all diesen Ländern gibt es strenge Maskenvorschriften, auch in Schulen. Die Durchimpfungsrate bei Kindern ist relativ hoch.

In Italien und Frankreich sind die Regeln für Impfpässe recht streng. In Italien wird z. B. ein grüner Pass für Arbeitnehmer sogar am Arbeitsplatz verlangt. In Frankreich ist er in fast allen Bereichen vorgeschrieben, auch im Fernverkehr. Für die Altersgruppe ab 65 Jahren werden bald auch Auffrischungsimpfungen für den Pass erforderlich sein.

Das Tragen von Masken in Innenräumen ist in diesen Ländern nach wie vor Pflicht. Frankreich hat das Tragen von Masken am 4. Oktober in französischen Grundschulen in Gebieten mit einer niedrigen COVID-19-Infektionsrate gelockert, aber das Tragen von Masken bleibt in allen anderen Bereichen in Schulen bestehen.

Leider sehen wir auch in Frankreich, Italien und Portugal derzeit einen Anstieg, obwohl die Fallzahlen noch niedrig sind. Es ist wahrscheinlich, dass es im Winter zu einem weiteren Anstieg kommen wird, wenn nicht gleichzeitig mit der Einführung des Auffrischungsprogramms strengere Maßnahmen zur Eindämmung der Krankheit ergriffen werden.

Es ist jedoch erwähnenswert, dass viele Länder Maßnahmen ergreifen, deren Infektions-Raten ungefähr in der gleichen Größenordnung e oder sogar über denen des Vereinigten Königreichs liegen, während wir seit Wochen und Monaten extrem hohe Fallzahlen haben, ohne Maßnahmen zu ergreifen.

Betrachtet man die kumulierten Fälle im Laufe der Zeit, so ist das Vereinigte Königreich vielen Ländern weit voraus, denn unsere täglichen Fälle liegen seit Monaten bei etwa 500/Million, während in anderen Ländern die Fallzahlen lange Zeit weniger als die Hälfte dessen betrugen, und jetzt, wo die Fälle steigen, werden dort Maßnahmen ergriffen.

Was können wir daraus lernen?

  • Wir können uns nicht nur auf eine Impfstrategie verlassen
  • Strenge, vielschichtige Schutzmaßnahmen sind bei der Delta-Variante erforderlich
  • Mitigations-Maßnahmen in Schulen sind ein wichtiger Teil davon und mehrschichtige Schutzmaßnahmen (Masken, Belüftung, Quarantäne, Tests) sind wichtig
  • Impfpässe können einen gewissen Wert haben, solange sie neben und nicht anstelle von Entschärfungsmaßnahmen eingesetzt werden. Sie sind kein Ersatz für Schutzmaßnahmen (Masken, Quarantäne, Belüftung).

Jüngste Arbeiten zeigen, dass die „Secondary Attack Rate“ (Anm.: diese sekundäre Angriffsrate gibt Zahl der durch eine infizierte Person angesteckten Personen an) in Haushalten selbst bei Geimpften 25 % beträgt (38 % bei Ungeimpften)!

  • Das Tragen hochwertiger Masken in Innenräumen ist nach wie vor von entscheidender Bedeutung
  • Die Impfung von Kindern ist wichtig, um die Ausbreitung einzudämmen.
  • Hohe Impfraten sind wichtig, um die Schwachen zu schützen (beispielsweise steigt in Deutschland, wo die Impfquote bei älteren Menschen niedriger ist als im Vereinigten Königreich, die Zahl der Todesfälle an)
  • Die Einführung von Auffrischungsimpfungen wird eine wichtige Maßnahme sein, um schwere Erkrankungen und die Übertragung im Winter einzudämmen.

Ich glaube nicht, dass es derzeit einen Schwellenwert für ein 2-Dosen-Impfschema gibt, das eine vollständige Lockerung der Beschränkung von Maßnahmen in Zusammenhang mit der Delta-Variante erlauben würde.

Das könnte sich mit Auffrischungsimpfungen und einer breiteren Impfung für 5-11-Jährige ändern, aber das bleibt abzuwarten. Im Moment ist es jedoch wichtig, neben der Einführung von Impfstoffen und Auffrischungsimpfungen strenge, vielschichtige Maßnahmen beizubehalten, um Todesfälle zu verhindern, die Gesundheitsdienste zu schützen und Schließungen zu vermeiden.

Wenn ich über Europa lese, fällt mir vor allem der Kontrast zum Vereinigten Königreich auf, wo die Regierung offenbar aufgegeben hat, die Pandemie einzudämmen, und sich apathisch verhält, während die Angehörigen des Gesundheitswesens Alarm schlagen. Andere Länder reagieren auf die Bedrohung. Während wir absolut nichts tun.

Ich möchte nur hinzufügen, dass ich kein Experte bin, was die Maßnahmen in den verschiedenen Ländern angeht – vieles davon ist nur eine Recherche auf Regierungswebsites und Dashboards, also korrigieren Sie mich bitte, wenn ich etwas falsch verstanden habe oder wenn die Dinge nicht so sind, wie ich sie verstanden habe.

Nachdem ich Antworten auf den Thread erhalten habe, möchte noch etwas mehr hinzufügen.

Schweiz

Rascher, exponentieller Anstieg der Infektionen – anscheinend hauptsächlich durch Ausbrüche in Schulen, aber auch in anderen Altersgruppen.

Nur 65 % der Bevölkerung sind vollständig geimpft, wobei die Unterschiede zwischen den einzelnen Regionen groß sind.

Mit freundlicher Genehmigung von @Andreas49900169

Die meisten Fälle treten in allen Regionen bei den 10- bis 19-Jährigen auf. Das Tragen von Masken in den Sekundarschulen ist uneinheitlich, da es in der Verantwortung des Kantons (regionale Behörde) liegt.

Masken werden im öffentlichen Personennahverkehr verlangt, scheinen aber nicht überall vorgeschrieben zu sein. Impfbescheinigungen sind im Gastgewerbe, in Freizeiteinrichtungen und bei großen Versammlungen in Gebäuden notwendig. Asymptomatische Schnelltests werden seit dem 11. Oktober auch für Erwachsene angeboten.

Die (vorhersehbare) Zunahme der Fälle führt zu einer Zunahme der Krankenhauseinweisungen und Todesfälle, da sich die Fälle von Kindern auf ältere Altersgruppen ausbreiten. Leider scheint es in der Regierung wenig Bereitschaft zu geben, frühzeitig Maßnahmen zu ergreifen, die eine Krise vor dem Winter abwenden könnten.

Auch in Deutschland und der Schweiz scheint es eine erhebliche Impfzurückhaltung zu geben, was auch die geringere Durchimpfung erklären könnte. Ich bin mir nicht sicher, warum, aber es wäre gut, dies besser zu verstehen.

Irland

Irland hat sehr hohe Infektionsraten und verzeichnet einen sehr schnellen exponentiellen Anstieg. In den letzten Monaten wurden die Beschränkungen gelockert, unter anderem wurden große Versammlungen und die Rückkehr zur Arbeit ab Ende September erlaubt.

Die Infektions-Raten sind bei jungen Menschen sehr hoch, gefolgt von Kindern im Schulalter. Impf- bzw. Genesungs-Pässe werden in einigen Bereichen verwendet (beispielsweise Kneipen, Nachtclubs, Kinos), aber es gibt keine Größen-Begrenzung für Versammlungen, wenn diese Pässe verwendet werden.

Masken sind in Verkehrsmitteln und Geschäften vorgeschrieben. 75 % der Bevölkerung sind vollständig geimpft. Die Maskenpflicht gilt in Sekundarschulen, nicht aber in Grundschulen. Insgesamt scheinen die meisten Ausbrüche an Arbeitsplätzen und Schulen verzeichnet worden zu sein (Quelle: Weekly Outbreak Report, Woche 44/2021):

Für Kinder unter 12 Jahren in der Schule gibt kein Kontakt-Tracing, wodurch die Kontaktpersonen eines Infizierten nicht mehr unter Quarantäne gestellt werden (ähnlich wie im Vereinigten Königreich). Die Impfraten sind bei den 10- bis 19-Jährigen recht hoch (60 % sind vollständig geimpft), was dazu beigetragen haben könnte, die Übertragung in Schulen bis zu einem gewissen Grad zu begrenzen.

Die Rückkehr an den Arbeitsplatz scheint jedoch zur Ausbreitung beizutragen. Die Regierung scheint den letzten Schritt der vollständigen Öffnung am 22. Oktober verschoben zu haben (zu diesem Zeitpunkt sollten die Nachtclubs öffnen und die Impfpässe für die Bewirtung nicht mehr erforderlich sein). Die Zahl der Fälle steigt rapide an.

Es ist unwahrscheinlich, dass sich daran etwas ändern wird, es sei denn, es werden strengere Beschränkungen eingeführt, während die Einführung des Impfstoffs und der Auffrischungsimpfung fortgesetzt wird. Vorhersehbar ist, dass die Zahl der Todesfälle im Einklang mit den Fällen zunimmt, aber natürlich in einem viel geringeren Ausmaß als zuvor, da die Impfquote hoch ist.

Aber exponentielle Anstiege sind unerbittlich, und die Fälle nehmen sehr schnell zu. Um einen weiteren Anstieg der Fälle, der Krankenhausaufenthalte und der Todesfälle zu verhindern, muss frühzeitig gehandelt werden.

Anmerkung der Redaktion: Die Situation in Luxemburg ist etwas weniger alarmierend als die in Deutschland, weil der Anstieg hierzulande aufgrund einiger weniger Maßnahmen noch etwas langsamer verläuft. Aber auch hier zögert die Regierung bei eigentlich dringend erforderlichen Eindämmungs-Maßnahmen. Es gibt zwar eine 3G-Regelung für Versammlungen, Restaurants, Gaststätten usw., die aber vielfach entweder durch Zertifikate anderer Personen umgangen oder schlicht nicht angewendet wird. Aber bei einer aktuellen Wochen-Inzidenz pro 100.000 Einwohner von um die 260 geraten die Kliniken auch hier stark unter Druck, deswegen bräuchten wir eigentlich dringend einige Maßnahmen zur Eindämmung. Welche das sind, können Sie im Artikel Wir brauchen Maßnahmen – UND ZWAR SOFORT!!!! hier im Blog nachlesen.

Den Original-Thread mit allen Kommentaren gibt’s übrigens hier :

Deepti Gurdasani

Senior Lecturer at Queen Mary University of London Epidemiology, statistical genetics, machine learning

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