Corona

Die Hütte brennt und wir sehen das Feuer nicht

Der Präsident des deutschen Robert-Koch-Instituts, Prof. Lothar Wieler, hat in einer Videokonferenz zur aktuellen Corona-Lage in Sachsen am 17. November 2021 in drastischen Worten klargemacht, wie katastrophal die Lage tatsächlich ist (das vollständige Video finden Sie hier auf YouTube, der Vortrag von Herrn Wieler beginnt bei 15m16s). In diesem Vortrag ist er unter anderem auch auf die hohe Anzahl der Neu-Infektionen eingegangen, die wir gerade übersehen.

Die Dunkelziffer an unerkannt Infizierten, die dadurch entsteht, hat einen ziemlich großen Einfluss auf unsere Sicht der Pandemie und auf das Infektions-Geschehen. Deswegen möchte ich in diesem Artikel einmal kurz erklären, warum wir viele Infektionen übersehen, welchen Einfluss das auf die Kennziffern hat und was wir dagegen tun können.

Die Faktoren dafür sind überall dieselben, ob wir nun über Luxemburg, Deutschland oder Österreich reden. Der Unterschied besteht lediglich daran, dass Deutschland im Infektions-Geschehen so ungefähr eine Woche früher dran ist als Luxemburg und Österreich ungefähr 3 Wochen. Für Luxemburg und Deutschland wäre es deshalb jetzt an der Zeit, das Prinzip Hoffnung endgültig aufzugeben und stattdessen vom Beispiel Österreich zu lernen, die dortige Entwicklung wird sich nämlich hier wiederholen.

Und, wie auch Prof. Wieler in seinem hörenswerten Vortrag angemerkt hat, das ist nicht überraschend gekommen. Wir wissen seit längerem, was uns in diesem Herbst angesichts viel zu niedriger Impfquoten blühen würde (nachlesen können Sie das beispielsweise im Artikel Delta, der Herbst, die vierte Welle und die Impf-Unwilligkeit vom 2. August 2021 hier im Blog). Die Politik zieht es allerdings leider immer noch vor abzuwarten, ob es wirklich so schlimm kommen wird (Spoiler: bisher kam es immer so schlimm, das wird auch diesmal der Fall sein).

Viele asymptomatische und leicht symptomatische Infektionen werden übersehen

Mit zunehmendem Impf-Fortschritt und der gleichzeitigen Ausbreitung der Delta-Variante haben sich die Spielregeln geändert. Denn mittlerweile ist ein Großteil der Risikogruppen vollständig geimpft (und damit vor schweren Verläufen ziemlich gut geschützt), das SARS-CoV-2-Virus bahnt sich seinen Weg durch die vielfach nicht vollständig geimpfte jüngere und gesunde Bevölkerung.

Man sieht das ziemlich gut an der Lage in den Kliniken. Auf den Normal- und Intensiv-Stationen liegen zwar durchaus Geimpfte, allerdings ist das Risiko eines Krankenhaus-Aufenthaltes für Ungeimpfte deutlich höher. Und, deutlich wichtiger noch, die schwereren Verläufe unter den Geimpften betreffen nahezu ausschließlich ältere Menschen mit Vorerkrankungen, Fettleibigkeit und schwachem oder durch Medikamente unterdrücktem Immunsystem.

Verglichen mit den Pandemie-Wellen vor der Verfügbarkeit von Impfstoffen fällt allerdings auch auf, dass es momentan eigentlich zwei Pandemie-Wellen gleichzeitig gibt:

  • Eine dieser Wellen gibt es unter den Geimpften, die sich durchaus mit SARS-CoV-2 infizieren können, allerdings (mit Ausnahme von Menschen mit abgeschwächtem Immunsystem) kaum jemals schwere Verläufe zeigen und deswegen in der Summe das Gesundheits-System nicht übermäßig stark belasten.
  • Die andere Welle betrifft die Ungeimpften, von denen es leider immer noch viel zu viele gibt. Hier sehen wir die Mehrzahl der schweren Verläufe und die weit überwiegende Zahl von Intensiv-Patienten (und zwar auch in den jüngeren Altersgruppen) und hieraus erwächst eine ungleich stärkere Belastung der Gesundheits-Systeme.

Beiden Wellen gemeinsam ist der hohe Anteil von asymptomatischen und leicht symptomatischen Verläufen (bei den Geimpften, weil die Impfung dort schwere Verläufe verhindert und bei den Ungeimpften, weil schwere Verläufe bei jüngeren Menschen nun einmal seltener vorkommen). Das wiederum führt dazu, dass eine Vielzahl der Infektionen nicht entdeckt wird, weil sich diese Menschen mangels Symptomen eher nicht testen lassen werden.

Dadurch ergibt sich eine ständig höhere Dunkelziffer an unerkannt Infizierten und damit steigt für uns alle die Gefahr, zufällig auf einen dieser Infizierten zu treffen und uns dadurch anzustecken (bei der derzeitigen Entwicklung dürfte in Deutschland und Luxemburg unter 100 Personen wenigstens eine aktiv infiziert sein und das Virus verbreiten, rein rechnerisch dürfte also ein einziger Abend in verschiedenen Bars und Clubs für den Kontakt mit mehreren gerade infektiösen Infizierten sorgen). Mit etwas Glück handelt es sich dabei um infizierte Geimpfte, bei denen das Infektions-Risiko relativ überschaubar ausfällt, sind es infizierte Ungeimpfte ist das Ansteckungs-Risiko wenigstens 10-mal so hoch.

Deswegen ist die derzeitige Angabe der Inzidenz ebenso wie die Angabe der aktuell aktiv Infizierten etwas trügerisch, sie dürfte in Ländern, die hauptsächlich symptomatische Fälle testen (dazu gehören Deutschland und Luxemburg), um den Faktor 2 bis 3 zu niedrig ausfallen.

Bei einer Impfquote über 90 Prozent mögen die verbleibenden Ungeimpften ein Restrisiko darstellen, mit dem man durchaus leben kann, bei Impfquoten von 67,5 Prozent (Deutschland) oder 65,6 Prozent (Luxemburg) ist ein „durchlaufenlassen“ einer Pandemie-Welle der blanke Wahnsinn (Quelle der Impfquoten: ECDC, Stand: 21.11.2021).

Schnelligkeit ist der entscheidende Faktor

Die Politik tendiert dazu, anhand der Auslastung der Klinikbetten feststellen zu wollen, wie schlimm die Lage eigentlich ist und ob wir neue Maßnahmen benötigen. Und das ist leider (ein weiteres Mal) falsch gedacht.

Denn die Klinik-Auslastung läuft dem Infektions-Geschehen um zwei (Normalbetten) bis drei (Intensivbetten) Wochen hinterher. Das liegt daran, dass sich der Zustand eines an Covid-19 Erkrankten langsam verschlechtert, bis zur Klinikeinweisung können leicht zwei Wochen vergehen, bis zur Verlegung in die Intensiv-Station dauert es nochmal eine Woche länger.

Wir sehen beim Blick auf die heutige Auslastung der Intensiv-Stationen also im Prinzip die Auswirkungen des Infektions-Geschehens drei Wochen zuvor. Eine heute aufgrund dieser Intensiv-Auslastung beschlossene (und sofort wirksame) Maßnahme könnte also erst in rund drei Wochen überhaupt eine merkbare Wirkung entfalten, weil die Auslastung bis dahin noch durch das Infektions-Geschehen der letzten Wochen bestimmt wird (das sich natürlich im Nachhinein nicht mehr beeinflussen lässt).

Leider treten beschlossene Eindämmungs-Maßnahmen normalerweise erst mit einem Vorlauf von einigen Tagen oder Wochen in Kraft und wirken auch nach Inkrafttreten nicht von heute auf morgen. Deswegen dauert es im Allgemeinen ein bis zwei Wochen, bis heute beschlossene Maßnahmen überhaupt einen merkbaren Einfluss auf das Infektions-Geschehen haben.

Wenn wir also den Blick auf das Geschehen in den Kliniken richten, dann werden wir ganz automatisch immer wenigstens drei bis vier Wochen zu spät reagieren. Bei einer hohen Durchdringung der Bevölkerung mit einem hochinfektiösen Virus wie der Delta-Variante des SARS-CoV-2-Virus ist so etwas tödlich, weil sich eine lineare Entwicklung bei einer genügend hohen Dunkelziffer an unerkannt Infizierten binnen weniger Tage in einen exponentiellen Anstieg verwandeln kann (so wie wir ihn ja im letzten Herbst schon einmal gesehen haben).

Be fast, have no regrets. You must be the first mover. The virus will always get you if you don’t move quickly. If you need to be right before you move, you will never win. Speed trumps perfection. (…) Everyone is afraid of the consequence of error. But the greatest error is not to move. The greatest error is to be paralyzed by the fear of error.

Dr. Michael Ryan, WHO, March 2020

Hört endlich auf, Impfgegner zu hofieren

In Deutschland und Luxemburg haben sich bisher rund ein Viertel der eigentlich impfberechtigten Altersgruppe ab 12 Jahren aus irgendwelchen Gründen nicht impfen lassen. Davon würde sich (zumindest in deutschen Umfragen) rund ein Drittel auch im Falle einer Impfpflicht keinesfalls impfen lassen. Wir reden hier also (schlimmstenfalls) von weniger als 10 Prozent der Bevölkerung.

Liebe Politiker, 75 Prozent der Impfberechtigten haben sich bereits für die Impfung entschieden und weitere 15 Prozent würden es vermutlich tun, wenn ihr es schaffen würdet, die Impfung zu ihnen zu bringen. In Demokratien nennt man so etwas eine überwältigende Mehrheit. Und was tut ihr? Ihr äußert Verständnis für die restlichen 10 Prozent, die aus völlig irrealen Gründen die Impfung ablehnen und schlechtreden? Und redet von Abspaltung, weil sich diese 10 Prozent von der Gesellschaft lossagen könnten, wenn ihr sie etwas härter anpackt? Würdet ihr die auch noch in Schutz nehmen, wenn sie sagen würden, die Erde sei eine Scheibe? Wann genau habt ihr euren Charakter verloren?

Diese 10 Prozent der Bevölkerung, die mit immer dämlicheren Argumenten und immer plumperen Falsch-Informationen gegen die Impfung wettern und einen Teil der Menschen verunsichern, um ihr eigenes Ego zu stärken oder um Bücher zu verkaufen, verdienen keine Anerkennung, sondern Verachtung. Und sie verdienen es, ganz klar als Schuldige für die derzeitige Situation benannt zu werden, anstatt in diversen Talk-Shows in den Rang von ernstzunehmenden Kritikern erhoben zu werden.

Wir würden derzeit nicht einmal über neue Eindämmungs-Maßnahmen reden müssen, wenn alle Impfberechtigten sich hätten impfen lassen. Sicherlich würde es dann immer noch Neu-Infektionen und schwere Verläufe geben, aber in einem leicht beherrschbaren Ausmaß. Denn Geimpfte können sich zwar immer noch infizieren und das Virus weitergeben, aber schwere Verläufe sind sehr selten und werden durch die fortschreitenden Auffrischungs-Impfungen noch seltener werden (unter Geimpften betreffen sie nahezu immer Menschen, deren Immunsystem aus irgendeinem Grund geschwächt ist). Ein paar Zahlen dazu finden Sie beispielsweise im folgenden Twitter-Thread:

Die hauptsächlichen Probleme in den Kliniken werden derzeit durch schwere Verläufe bei jüngeren Menschen verursacht, die eine sehr personal- und zeitintensive Behandlung benötigen. Diese schweren Verläufe würde es in fast allen Fällen gar nicht erst geben, wenn die Betroffenen sich hätten impfen lassen. Bei Impfquoten von nicht einmal 75 Prozent (18- bis 59-Jährige) und deutlich unter 90 Prozent (60-Jährige und älter) ist die Anzahl der Menschen mit einem Potential für einen schweren Verlauf so hoch, dass die Gesundheits-Systeme bei einem „durchlaufenlassen“ der Pandemie überlastet werden können.

Im Grunde haben wir überhaupt keine Wahl. Wir können und dürfen nicht zulassen, dass die ungeimpften 25 Prozent der Impfberechtigten unser Gesundheits-System an die Überlastungs-Grenze (oder darüber hinaus) bringen. Deswegen können wir jetzt entweder schnell handeln und die Ungeimpften aus dem Infektions-Geschehen herausnehmen (dazu gleich mehr) oder warten, bis die Klinikbelastung an der Grenze angelangt ist und dann wieder alle einsperren (in Österreich können wir gerade sehen, was passiert, wenn man zu lange wartet).

Die Auffrischungs-Impfung alleine ist kein Konzept

Auffrischungs-Impfungen sorgen dafür, dass der Schutz vor schweren Verläufen steigt und länger anhält (deswegen wird die dritte Dosis in zukünftigen Impf-Schemata wahrscheinlich zum Standard werden). Daneben steigt der Antikörper-Spiegel an und sorgt für einige Monate für eine erheblich Absenkung der Infektiosität, Die Auffrischungs-Impfung sorgt also für einen besseren Eigen- und Fremdschutz und ist deswegen ein wichtiges Werkzeug zur Reduzierung der Neu-Infektionen.

Aber leider ist sie kein Werkzeug, dass alleine für unsere Rettung sorgen kann (auch wenn viele Politiker das zu glauben scheinen), weil sie das eigentliche Problem zu vieler Ungeimpfter nicht lösen kann. Die Auffrischungs-Impfung kann allenfalls durch die Verringerung der Infektiosität dazu beitragen, dass sich weniger Ungeimpfte infizieren und das Risiko für eine Überlastung der Gesundheits-Systeme verringert wird.

Damit sind Auffrischungs-Impfungen neben dem verbesserten Eigenschutz auch zur kurzfristigen Verringerung des Infektions-Geschehens geeignet. Ein Konzept zur langfristigen Pandemie-Eindämmung stellen sie allerdings nicht dar, ein solches Konzept muss auf die Impfung der bisher nicht geimpften Menschen abzielen. Wir müssen zwingend die Impfquote erhöhen, ob das nun durch Überzeugung, Anreize, Druck oder sogar eine Impfpflicht geschieht, ist unerheblich. Anders werden wir diese Pandemie nicht los werden.

Weitere Informationen zum Thema Auffrischungs-Impfungen finden Sie bei Interesse im Artikel Die Auffrischungs-Impfung löst nicht alle Probleme hier im Blog.

Ein kleines Rechenbeispiel zum besseren Verständnis

Manche Probleme lassen sich anhand von ein paar Zahlen vielleicht besser erfassen, deshalb hier ein kleines Rechenbeispiel zur Klinikbelegung. Stellen wir uns also ein imaginäres Land vor, in dem sich an einem bestimmten Tag 10.000 Menschen mit dem SARS-CoV-2-Virus infizieren. Unter diesen 10.000 Menschen sind 75 Prozent vollständig geimpft, die Neu-Infektionen verteilen sich gleichmäßig auf Geimpfte und Ungeimpfte. Das Intensiv-Risiko beträgt 3 Prozent und ist für Geimpfte um den Faktor 14 geringer (siehe beispielsweise hier bei der CDC).

Bei gleichmäßiger Infektion hätten wir dann also 7.500 geimpfte und 2.500 ungeimpfte Infizierte. Bei der angenommenen Intensiv-Rate würden nach rund drei Wochen 16 geimpfte Patienten auf der Intensiv-Station landen. Aber von den ungeimpften Infizierten würden 75 auf der Intensiv-Station landen, also knapp 5-mal so viel, obwohl die Ungeimpften nur ein Viertel der Infizierten ausmachen. Wenn die Ungeimpften aus dem Infektions-Geschehen herausfallen, werden bei gleicher Ausgangslage nach drei Wochen anstelle von 91 Intensiv-Betten nur 16 benötigt. Verstehen Sie das Problem?

Das ist übrigens noch nicht einmal die ganze Wahrheit. Zu einen sinkt die Infektiosität in der Gesamtbevölkerung, wenn die infektiöseren Ungeimpften aus dem Infektions-Geschehen herausfallen, es stecken sich also weniger Menschen an. Und zum anderen wird bei der obigen Rechnung von einer gleichmäßigen Verteilung der Neu-Infektionen zwischen Geimpften und Ungeimpften ausgegangen. Tatsächlich ist aber das Infektionsrisiko für Geimpfte geringer, es würden sich also in der Gruppe der Geimpften eigentlich weniger Menschen anstecken, wodurch dann auch die Intensiv-Belegung durch Geimpfte geringer würde. Ich habe diese Effekte hier bewusst nicht berücksichtigt, um das Beispiel so einfach wie möglich zu halten.

Luxemburg und die Entscheidungs-Unfähigkeit

Luxemburg macht übrigens gerade vor, wie man’s nicht machen sollte. Obwohl die Wochen-Inzidenz seit Mitte August kontinuierlich ansteigt (und mittlerweile über 300 liegt), die Klinikbelastung zunimmt und wir die Beispiele Österreich und Deutschland vor Augen haben, konnte sich die Regierung bisher nicht zu besonderen Eindämmungs-Maßnahmen durchringen.

Immerhin wird’s ab nächster Woche die Auffrischungs-Impfung für alle ab 18 Jahren geben. Ansonsten bleibt’s bei Verständnis für die Impfskeptiker, ein paar Appellen und einer Impfwoche mit mobilen Angeboten. Das ist sicherlich alles gut gemeint, wird aber keine kurzfristige Entspannung der Lage bringen.

Hierzulande hätte vermutlich zum jetzigen Zeitpunkt eine strikte 2G-Regelung für alle nicht lebenswichtigen Bereiche und eine Impfpflicht für die Gesundheits- und Pflegebereiche ausgereicht, um die Lage unter Kontrolle zu bekommen. Dazu fehlt der Regierung aber offenbar der Mut, man sorgt sich wohl eher um das den Erfolg des vorweihnachtlichen Shoppings, des Horeca-Sektors und der Weihnachtsmärkte. Ob diese politische Entscheidung (bzw. Nicht-Entscheidung) letztlich wirtschaftlich sinnvoll ist, sei angesichts der Kosten für die Intensivpflege und der Gefahren bei einer Überlastung der Kliniken an dieser Stelle einmal bezweifelt.

Den Preis für das Einknicken der Regierung vor der Wirtschaft dürften dann in ein paar Wochen wieder einmal diejenigen zahlen müssen, die schon bisher solidarisch gewesen sind, nämlich die Geimpften. Die Ungeimpften, die das eigentliche Problem darstellen, werden ein weiteres Mal zugunsten der Wirtschaft und aufgrund der Angst der Politik vor Entscheidungen bevorzugt.

Striktes 2G heißt Lockdown für Ungeimpfte

Das Mindeste, das Länder mit niedriger Impfquote jetzt tun sollten, wäre der Ausschluss von Ungeimpften aus dem Infektions-Geschehen (man kann das je nach Gusto als „strikte 2G-Regel“ oder als „Lockdown für Ungeimpfte“ bezeichnen, im Endeffekt läuft’s auf dasselbe hinaus).

Und das dient eigentlich nicht so sehr dem Schutz der Geimpften, sondern eher dem Schutz des Gesundheitswesens vor Überlastung. Denn die Präsenz von Ungeimpften erhöht bei den derzeitigen Inzidenzen das Infektions-Risiko für Geimpfte nur marginal. Bei Geimpften und Genesenen unter sich besteht zwar durchaus ein Infektions-Risiko, aber nur ein geringes Risiko für schwere Covid-19-Verläufe. Das ändert sich, wenn ungeimpfte Personen mit einbezogen werden, weil bei Ihnen im Falle einer Infektion das Risiko für schwere Verläufe (und damit das Risiko für eine Klinikeinweisung) deutlich höher liegt.

Nun mag man durchaus einwenden, dass sich diese ungeimpften Menschen ja aus freien Stücken gegen die Impfung und damit für die natürliche Infektion entschieden haben. Ob man das jetzt richtig oder falsch findet, ist dabei eigentlich unerheblich. Wichtig ist allerdings, dass von der hohen Anzahl Ungeimpfter eine erhebliche Gefahr für das Gesundheitswesen ausgeht, die wir so nicht tolerieren dürfen. Denn eine Überlastung des Gesundheits-Systems (die in vielen Teilen Europas heute schon Realität ist) gefährdet nicht nur die Covid-19-Erkrankten unter uns, sondern jedes Unfallopfer und jeden lebensbedrohlich Erkrankten, weil die gewohnte lebenssichernde medizinische Versorgung zusammenzubrechen droht. Eine Idee, was eine Triage in Kliniken bedeuten kann, findet sich im niederländischen Code Black:

  • Patienten mit voraussichtlich kurzen Aufenthalten werden bevorzugt versorgt
  • Beschäftigte im Gesundheitswesen werden prioritär aufgenommen
  • Patienten der jüngeren Generation haben Vorrang vor älteren Menschen

Den ganzen Text finden Sie im folgenden Artikel, in dem der niederländische Code Black beschreiben wird (in holländischer Sprache, mit dem Google Translator aber leicht ins Deutsche übersetzbar). Im darauffolgenden Artikel von Quarks finden Sie die Regeln, die in Deutschland für eine Triage gelten.

Ich vermute mal, dass Sie mit mir einer Meinung sind und eine solche Triage bei uns nicht unbedingt sehen möchten. Aber dazu wird es kommen, wenn wir nicht JETZT strikte 2G-Regelungen bekommen, um ungeimpfte Menschen möglichst aus dem Infektions-Geschehen herauszunehmen und diese Gefahr einzudämmen. Als positiver Neben-Effekt dürfte sich dabei auch noch ergeben, dass sich einige der heute noch ungeimpften Menschen letztlich doch impfen lassen, um den Einschränkungen zu entgehen. Deutschland und besonders Österreich sind Luxemburg da deutlich voraus, wir verpassen hierzulande gerade wieder einmal die Chance, dem Virus wenigstens einmal einen Schritt voraus zu sein.

Ist 2G-Plus sinnvoll?

Über eine 2G-Plus-Regelung (also den Zugang nur für Geimpfte und Genesene mit negativem Test) kann man durchaus streiten. Auf Basis von Antigen-Schnelltests (und das wäre wohl die einzig gangbare Möglichkeit) dürfte der Gewinn an Sicherheit nicht unbedingt enorm sein. Das liegt ganz einfach daran, dass immunisierte Menschen nur für einige Tage infektiös sind und dass diese Antigen-Schnelltests gerade in den ersten zwei bis drei Tagen nach einer Infektion eine Erkennungslücke aufweisen (nachlesen können Sie das beispielsweise im Artikel Antigen-Schnelltests und die Illusion der Sicherheit hier im Blog).

Weil man mit Antigen-Schnelltests die ersten hochinfektiösen Tage systembedingt immer verpasst, gewinnt man durch diese Tests in 2G-Bereichen nicht so sehr viel zusätzliche Sicherheit vor Infektionen. Sie können (breitflächig angewendet) aber immerhin einen etwas besseren Überblick über das Infektions-Geschehen ermöglichen.

Aus Gründen des Infektions-Schutzes wirklich sinnvoll sind solche 2G-Plus-Regelungen folglich nur in Bereichen, in denen wir wirklich jedes Quäntchen Sicherheit brauchen, also beispielsweise in Krankenhäusern oder Einrichtungen zur Altenpflege.

Zur Eindämmung des Infektions-Geschehens ist eine strikte Anwendung von 2G-Regeln sehr viel sinnvoller. Dazu kann in erster Linie der Abgleich der jeweiligen Zertifikate mit den Personalien der jeweiligen Person, die Kontrolle der Einhaltung der Regeln und empfindliche Strafen bei Missachtung beitragen. Aber leider fehlt der Politik zumindest hierzulande offenbar auch dazu (selbst bei der derzeit geltenden 3G-Regelung, bei der die Kontrollen eher ein Witz sind) der Mut.

Daneben sind natürlich auch noch andere Maßnahmen, beispielsweise eine Impfpflicht (allgemein oder nur in bestimmten Bereichen) möglich. Welche Maßnahmen das sein könnten, können Sie bei Interesse beispielsweise im Artikel Die Auffrischungs-Impfung löst nicht alle Probleme hier im Blog nachlesen.

Die, die sich nicht impfen lassen können

Ein weiteres Problem stellen die Menschen dar, die sich aus irgendeinem Grund nicht impfen lassen können, auch wenn sie es möchten, oder die aufgrund einer Immunschwäche keine ausreichende Immunität entwickeln.

Da wären zunächst einmal die Kinder unter 12 Jahren zu nennen, für die bis heute in der Europäischen Union kein Impfstoff zugelassen wurde. Das könnte sich möglicherweise am morgigen Mittwoch (24.11.2021), ändern. Denn nach vielen Medienberichten steht die Zulassung für den Impfstoff von BioNTech/Pfizer durch die EMA offenbar kurz bevor, in Deutschland gibt es zu diesem Zweck bereits eine Online-Buchungs-Plattform für Termine.

Dazu kommt die Gruppe der Menschen, für die keine Impfung möglich ist, weil sie auf einen der Inhaltsstoffe der zugelassenen Impfstoffe allergisch reagieren. Diese Gruppe ist allerdings bei den mRNA-Impfstoffen sehr, sehr klein, weil diese Impfstoffe nur aus Lipid-Kügelchen und mRNA-Molekülen bestehen (etwas größer dürfte sie bei den Vektor-Impfstoffen sein, noch einmal größer bei den demnächst kommenden Totimpfstoffen aufgrund der darin enthaltenen Adjuvanzien).

Bei den besonders gefährdeten Menschen mit Immunschwäche sorgt glücklicherweise in vielen Fällen die Auffrischungs-Impfung doch noch für einen ausreichenden Schutz. Allerdings gibt es in dieser Gruppe leider auch Menschen, bei denen das Immunsystem derart geschwächt ist, dass auch die dritte Impfdosis keinen ausreichenden Schutz gewährleistet. Diese Menschen können wir nur schützen, indem wir ihnen in ihrer Umgebung durch vollständig geimpftes Personal und möglichst häufige Testungen den größtmöglichen Schutz vor infektiösen Personen bieten.

Fazit

Vor der damals schon offensichtlichen Zielsetzung der Politik habe ich bereits im April dieses Jahres im Artikel Durchseuchung – Dummheit, Arroganz oder Vorsatz? gewarnt, bis heute scheint sich an der Grundeinstellung aber nicht sonderlich viel geändert zu haben. Dass allerdings die eigentliche Gefahr daraus resultieren würde, dass sich sehr viele Menschen nicht impfen lassen möchten, obwohl sie es könnten, hätte ich damals nicht für möglich gehalten (vor den Folgen dieser Impfunwilligkeit habe ich dann in den Artikeln Nicht-Geimpfte werden ein paar Nachteile haben im Juni und Delta, der Herbst, die vierte Welle und die Impf-Unwilligkeit  im August gewarnt).

Das soll jetzt übrigens nicht zeigen, dass ich besonders hellsichtig gewesen wäre, über die in den Artikeln erwähnten Fakten gab und gibt es einen breiten wissenschaftlichen Konsens. Aber es soll zeigen, dass sich die Politiker auch dieses Mal nicht damit entschuldigen können, dass man das alles ja nicht vorher habe wissen können. Die Politik hätte es wissen können und müssen und hätte aufgrund dieses Wissens verantwortungsvoll reagieren müssen.

Stattdessen wird diese Pandemie durch die Entscheidungs-Unwilligkeit der Verantwortlichen unnötigerweise immer weiter in die Länge gezogen, weil man sich vor notwendigen Entscheidungen drückt. Und zumindest in Luxemburg scheint man diesen Kurs auch fortführen zu wollen (die Pressekonferenz vom letzten Freitag finden Sie bei Interesse hier auf YouTube).

Liebe Regierende in Luxemburg, ihr steuert uns gerade mit voller Kraft geradewegs gegen die Mauer namens Realität. Und für diesen Kurs werden in ein paar Wochen alle (auch Geimpfte) mit Einschränkungen bezahlen müssen. Sagt also bitteschön wenigstens am Ende nicht, dass das nicht absehbar gewesen wäre. Es war absehbar und wenn es dazu kommt, wird es eure Schuld sein!

Könnten wir also bitte endlich einmal Demokratie leben und die Interessen der Geimpften wahren, anstelle uns ständig den Ungeimpften und ihrem gelebten Egoismus gegenüber nachsichtig und verständnisvoll zu zeigen. Eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung hat nämlich mittlerweile keinerlei Verständnis mehr für Politiker, die die Menschen für dumm verkaufen wollen und gleichzeitig ihre Solidarität einfordern!

Die Hütte brennt! (…) Wir müssen endlich was tun, sei es durch Kontaktbeschränkungen, sei es durch Forcieren der Impfung (das wirkt ja immer erst frühestens in sechs Wochen), sei es durch Boosterung. Also wir müssen nach vorne gucken. Die Politik hat in meinen Augen in ihrem Hickhack, in ihren Streitereien die Bürger alleine gelassen und hat ziemlich versagt. (…) Wir haben als Cassandren schon vor sechs, acht Wochen Ihnen das alles vorhergesagt, was wir heute erleben und Sie schulden den Bürgern jetzt den Respekt zu handeln.

Frank Ulrich Montgomery, Präsident des Weltärztebundes, bei Maybrit Illner

Für Luxemburg bleibt allenfalls noch die Frage offen, ob Premierminister Xavier Bettel seiner Ankündigung „Die Belegung der Intensivbetten ist ausschlaggebend. Sollte diese ansteigen, werden wir weitere Maßnahmen ergreifen müssen“ (siehe hier im Tageblatt) auch tatsächlich Taten folgen lässt. Denn die Zahl der Neu-Infektionen steigt seit Wochen kontinuierlich an (von KW 45 auf 46 beispielsweise um 31,51 %), die Belegung der Gesamtbetten (noch nicht der Intensivbetten) nimmt ebenfalls beständig zu. Wir wissen deshalb schon heute, dass die Belegung der Intensivbetten in den nächsten drei Wochen steigen wird, das lässt sich nicht mehr ändern. Und die Regierung weiß das auch, scheint diese Erkenntnis aber auf dem Altar des Weihnachtsgeschäftes opfern zu wollen. Die Hütte wird hierzulande also wohl ungestört noch etwas weiterbrennen.

In eigener Sache: Wenn Ihnen dieser Artikel gefällt, dann können Sie mir das Schreiben und Recherchieren gerne mit einem Kaffee oder einer kleinen Spende versüßen. Eine Möglichkeit dazu finden Sie auf der Seite Buy me a coffee.

Wie denken Sie darüber? Haben Sie Anmerkungen oder andere Ideen zu diesem Thema? Oder sehen Sie es ganz anders? Schreiben Sie es mir in den Kommentaren.

Claus Nehring

Ich bin freiberuflicher Autor, Journalist und Texter (aka "Schreiberling") aus Luxemburg. Als Informatiker und Statistiker habe ich jahrelange Erfahrung in der Visualisierung und Modellierung großer Datenmengen. Ich beschäftige mich seit mehr als 30 Jahren mit Infektionskrankheiten und publiziere Artikel zu diesem Thema, aus verschiedenen anderen Wissenschafts-Bereichen und aus dem Bereich Internet & Gesellschaft,

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