Die Bedeutung der Dunkelziffer
Zuletzt aktualisiert am 5. November 2020 von Claus Nehring
Irgendwann Ende September/Anfang Oktober hat die Anzahl der offiziellen Covid-19-Todesfälle die Million überschritten. Das sind bereits jetzt deutlich mehr Todesfälle, als die Weltgesundheits-Organisation (WHO) für das Jahr 2017 (das letzte Jahr, für welches Zahlen vorliegen) beispielsweise für Malaria (620.000), Selbstmord (794.000) oder HIV/AIDS (954.000) angibt. Ähnlich sieht es bei den jährlichen Grippewellen mit (laut WHO) bis zu 650.000 Todesfällen pro Jahr aus. Und diese Corona-Pandemie ist noch längst nicht vorbei.
Mittlerweile (laut Johns Hopkins University, 30.10.2020) stehen wir bei 1.183.861 Todesfällen und 45.271.624 bestätigten Infektionen weltweit. Leider ist aber auch das vermutlich nur die Spitze des Eisbergs, die Zahl der weltweit tatsächlich mit dem SARS-CoV-2-Virus infizierten Menschen dürfte noch weitaus höher liegen.
Das liegt hauptsächlich an drei Dingen. Zum einen waren in der Anfangsphase der Pandemie nicht genügend Tests verfügbar, die Infrastruktur für Massentests ist in den meisten Ländern erst ab Mitte Mai 2020 aufgebaut worden. Zum zweiten verläuft eine Covid-19-Erkrankung bei vielen Menschen ohne oder mit wenig Symptomen, vielfach wird deshalb trotz Infektion kein Test durchgeführt. Und zum dritten gibt es keine Tests, mit denen sich eine aktuelle oder vergangene Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus mit einer hundertprozentigen Sicherheit bestimmen ließe.
Was dann wiederum bedeutet, dass es eine sogenannte Dunkelziffer gibt, nämlich eine Anzahl von mit dem SARS-CoV-2-Virus infizierten Personen, die niemals mit einem Test bestätigt worden sind. In den folgenden Absätzen möchte ich darauf eingehen, was diese Dunkelziffer eigentlich ist und warum sie so wichtig ist.
Was sagt uns die Dunkelziffer?
Grundsätzlich gibt die Dunkelziffer die Anzahl der Menschen wieder, die sich mit dem SARS-CoV-2-Virus infiziert haben und die bisher nicht mit einem Test als positiv bestätigt worden sind. Das kann aus zwei Gründen passieren.
Der offensichtliche Grund liegt natürlich daran, dass die betreffende Person nie getestet worden ist. Da wir wissen, das rund 80 % aller Infizierten keine oder nur geringe Symptome aufweisen und sich dementsprechend auch nicht unbedingt von sich aus testen lassen, ist das durchaus wahrscheinlich.
Dieser Teil der Dunkelziffer fällt natürlich umso geringer aus, umso mehr in einem bestimmten Land getestet wird, in Luxemburg mit seiner sehr umfassenden Teststrategie dürfte er geringer als in den meisten anderen Ländern sein. Nur sollten sich natürlich idealerweise auch alle Leute testen lassen, die die Möglichkeit dazu bekommen. Weil Wissen eben doch immer besser als Nicht-Wissen ist, nicht nur für die Gesundheitsbehörden, sondern auch für jeden Einzelnen von uns.
Der zweite und etwas weniger offensichtliche Grund liegt daran, dass ein PCR-Test zum falschen Zeitpunkt vorgenommen wurde. Wir wissen mittlerweile, dass das SARS-CoV-2-Virus so ungefähr ab dem zweiten Tag nach einer Infektion im Rachenraum nachweisbar ist und dass die Virus-Last ab diesem Zeitpunkt ständig abnimmt. So ungefähr 10 bis 20 Tage nach der Infektion repliziert das Virus dann in den unteren Atemwegen und kann mit einem Rachenabstrich in den allermeisten Fällen nicht mehr nachgewiesen werden (der Nachweis ist dann übrigens immer noch möglich, beispielsweise aus dem Sputum oder dem Stuhl oder mit einem CT-Scan der Lunge).
Dieses zweite Problem lässt sich kaum verhindern. Denn man könnte es nur lösen, indem jede Person einer Population so ungefähr einmal pro Woche getestet wird (das wären in Luxemburg ohne Grenzgänger so rund 630.000 Tests pro Woche), und das ist aus Kapazitätsgründen nicht machbar.
Eine Alternative dazu sind sogenannte Seroprävalenz-Tests, bei denen das Vorhandensein von Antikörpern gegen ein bestimmtes Virus nachgewiesen wird. Diese Antikörper werden vom körpereigenen Immunsystem zur Abwehr von Viren gebildet. Nur ist diese Methode leider zur Identifizierung einer aktiven Infektion ungeeignet (Antikörper bilden sich erst einige Wochen nach einer Infektion) und auch alles andere als genau. Manche (meist junge) Menschen bekämpfen das Virus, ohne überhaupt Antikörper zu bilden. Bei anderen werden zwar Antikörper gebildet, bleiben aber nur für sehr kurze Zeit nachweisbar. Und manche Tests könnten wahrscheinlich auch auf Antikörper reagieren, die vom Immunsystem zur Abwehr andere (ähnlicher) Viren gebildet wurden. Für die Statistik (zur Bestimmung eines ungefähren Durchseuchungsgrades) ist das durchaus interessant, genaue Ergebnisse sind aber nicht zu erwarten.
Mehr über Antikörper-Tests können Sie bei Interesse übrigens auch in diesem Artikel in der Pharmazeutischen Zeitung finden.
Aus dieser grafischen Darstellung von JAMA (das ist das monatliche Fach-Journal der American Medical Assosciation) lässt sich recht gut entnehmen, wann ungefähr eine SARS-CoV-2-Infektion mit welchen Testverfahren nachweisbar ist.
Es gibt also derzeit keine Methode, mit der man die Dunkelziffer genau bestimmen könnte. Und mit hoher Wahrscheinlichkeit wird das auch in der Zukunft so bleiben. Aber eine Annäherung an die tatsächlichen Werte ist durchaus möglich.
Fallsterblichkeit und Infektionssterblichkeit
Die Fallsterblichkeit (im englischen CFR für Case Fatality Rate) lässt sich recht einfach bestimmen, sie gibt den Anteil der Todesfälle an den bekannten Infektionen wieder. Das ist zwar nicht ganz korrekt (siehe folgende Anmerkung), aber für einen Trend sicherlich ausreichend.
Anmerkung: Genau betrachtet ist diese Berechnung so nicht ganz korrekt, denn man müsste ja grundsätzlich eigentlich den Verlauf einer Covid-19-Erkrankung mit einrechnen. Die heutigen Todesfälle beziehen sich ja nicht auf die heutige Anzahl der Infizierten, weil ein Todesfall aufgrund einer Covid-19-Erkrankung erst rund 2 bis 4 Wochen nach dem ersten Auftreten von Symptomen eintritt. Also müsste man der Berechnung genau betrachtet die Anzahl der Infizierten von vor rund zwei bis vier Wochen zugrunde legen. Der typische Verlauf einer Covid-19-Erkrankung lässt sich beispielsweise aus diesem Schaubild entnehmen.
Für Luxemburg käme man übrigens auf eine Fallsterblichkeit von 1,05 %, wenn man die Infizierten von heute (13.713 am 24. Oktober 2020) zugrundelegt. Nimmt man die Infizierten von fünf Wochen vorher (7.803 am 19. September) dann wäre die Fallsterblichkeit deutlich höher, nämlich bei 1,85 %.
Wichtiger als die oben beschriebene Fallsterblichkeit wäre allerdings das Wissen um die Infektionssterblichkeit (im englischen IFR für Infection Fatality Rate). Dieser Wert gibt den Anteil der Todesfälle an allen Infizierten wieder und er könnte uns, nach Altersgruppen aufgetrennt, dabei helfen, die möglichen Folgen dieser Pandemie abzuschätzen.
Dummerweise müsste man zum Errechnen die genaue Anzahl der Infizierten, also die positiv getesteten Menschen ebenso wie die oben erwähnte Dunkelziffer, in die Berechnung einbeziehen. Eine solche Studie mit dem Titel „Assessing the Age Specificity of Infection Fatality Rates for COVID-19” gibt es, sie finden Sie bei Interesse hier.
Es handelt sich bei dieser Studie um eine sogenannte Meta-Analyse, für die 120 einzelne Studien (von ursprünglich 1.153) untersucht wurden, von denen 34 Studien den Qualitäts-Kriterien entsprochen haben und in die Meta-Analyse aufgenommen wurden. Die Studie hat einige interessante Ergebnisse zu der Infektions-Sterblichkeit bei einer Covid-19-Erkrankung erbracht.
Bis zu 34 Jahre – Infektionssterblichkeit 0,004 %
35-44 Jahre – Infektionssterblichkeit 0,068 %
45-54 Jahre – Infektionssterblichkeit 0,23 %
55-64 Jahre – Infektionssterblichkeit 0,75 %
65-74 Jahre – Infektionssterblichkeit 2,5 %
75-84 Jahre – Infektionssterblichkeit 8,5 %
Über 85 Jahre – Infektionssterblichkeit 28,3 %
Die durchschnittliche Infektions-Sterblichkeit beträgt laut dieser Studie für die USA rund 0,8 %, in Deutschland und Luxemburg dürfte sie aufgrund des höheren Anteils von älteren Menschen etwas höher (bei ungefähr 1 %) liegen. Weltweit hingegen dürfte die Infektionssterblichkeit aufgrund der recht jungen Bevölkerung vieler Länder eher bei rund 0,5 % liegen.
Zum Vergleich: die Infektionssterblichkeit für die Influenza beträgt in den USA rund 0,05 %, hierzulande liegt sie etwas niedriger. In den USA ist also das Sterblichkeits-Risiko für eine Covid-19-Erkrankung rund 16-Mal höher als bei einer Influenza, in Deutschland oder Luxemburg dürfte der Faktor noch etwas höher liegen.
Auf den ersten Blick sehen diese Zahlen ein wenig erschreckend aus, auch wenn sie durchaus den bisherigen Schätzungen entsprechen. Aber sie erlauben auf der anderen Seite auch eine Annäherung an die Dunkelziffer in den verschiedenen Ländern.
Die Annäherung an die Dunkelziffer
Wenn man die Infektionssterblichkeit als Maßstab nimmt, dann lässt sich anhand der oben genannten Zahlen eine Aussage über die ungefähre Anzahl der tatsächlich mit dem SARS-CoV-2-Virus infizierten Menschen machen. Denn wir kennen ja die Anzahl der Todesfälle zu einem bestimmten Zeitpunkt.
Ich habe das hier einmal beispielhaft in Grafiken für Deutschland und Luxemburg dargestellt. Für die Berechnung bin ich von einer Zeitspanne von 28 Tagen zwischen dem Zeitpunkt eines positiven Tests bis zum Tod und für eine Infektionssterblichkeit von 0,9 % ausgegangen. Wohlgemerkt, das hier sind Annäherungen, diese Berechnungen können lediglich eine Annäherung an die Realität darstellen.
Für Luxemburg kommt man so darauf, dass die tatsächliche Anzahl der Infizierten bei ungefähr dem doppelten der offiziellen Anzahl liegen dürfte, für Deutschland ungefähr beim vierfachen. Diese Differenz in der Dunkelziffer kommt schlicht daher, das in Luxemburg (berechnet auf die Einwohnerzahl) erheblich mehr getestet wird als in Deutschland.
In echten Zahlen ausgedrückt würde das bedeuten, dass sich in Luxemburg bisher (Stand: 25.10.2020) vermutlich rund 28.000 Menschen mit dem SARS-Cov-2-Virus infiziert haben (oder knapp 4,5 % der Bevölkerung), für Deutschland wären es knapp 1,74 Millionen Menschen oder knapp 2,1 % der Bevölkerung.
Diese Zahlen dürften für Länder mit einem gut ausgebauten Gesundheitssystem und einer guten Zahlenverfügbarkeit zwar sicherlich nicht perfekt sein, aber doch recht gut mit der Realität übereinstimmen. Und sie sagen ganz klar aus, dass wir von einer eventuellen Herdenimmunität noch ein gutes Stück entfernt sind.
Die Dunkelziffer der aktiv Infizierten
In der derzeitigen Situation mit einer explosiven Zunahme an Neu-Infektionen ist allerdings die Anzahl der aktiv infizierten Menschen erheblich wichtiger. Mit dem Begriff „aktiv infiziert“ möchte ich Personen beschreiben, die im Moment mit dem SARS-CoV-2-Virus infiziert und gleichzeitig noch infektiös sind (also jetzt im Moment andere Menschen anstecken können).
Denn an dieser Zahl lässt sich so ungefähr festmachen, wie hoch das Ansteckungsrisiko in der Bevölkerung zu einem gegebenen Zeitpunkt ist. Das lässt sich ganz einfach an einem Beispiel erklären. In Luxemburg gab es Mitte Juni knapp 100 aktiv infizierte Menschen, die den Gesundheitsbehörden bekannt und daher in Quarantäne waren. Bei einer Dunkelziffer in gleicher Höhe dürfte es damals noch einmal ungefähr hundert weitere aktiv Infizierte im gesamten Land gegeben haben. Bei einer Einwohnerzahl von 630.000 wäre Ihre Chance, auf einen dieser aktiv Infizierten zu treffen und sich zu infizieren also 1:6.300 gewesen.
Mit Stand vom 24. Oktober 2020 gab es laut Gesundheitsministerium 4.628 aktiv infizierte Personen im Großherzogtum, die den Behörden bekannt und in Quarantäne waren. Dazu dürfte dann folgerichtig noch einmal ungefähr die gleiche Anzahl an aktiv infizierten Menschen kommen, die sich nicht in einer Isolation befinden. Als Resultat liegt Ihre Chance, dass Sie einem dieser aktiv Infizierten begegnen, jetzt auf einmal bei 1:136, also rund 46-Mal höher.
Anders ausgedrückt: da sich das Virus mittlerweile offenbar recht gleichmäßig in der Bevölkerung verteilt hat, stehen Ihre Chancen, auf einer Veranstaltung mit 136 Personen einem aktiv Infizierten zu begegnen, rein rechnerisch bei 100 %. Falls auf dieser Feier hauptsächlich jüngere Leute sind, sieht es sogar noch etwas schlechter für Sie aus, weil sich das Virus derzeit eher innerhalb der jüngeren Bevölkerungsschicht ausbreitet.
Die Zahl der jeweils aktiv Infizierten lässt sich übrigens (im Gegensatz zu vielen anderen Kennzahlen dieser Pandemie) recht einfach berechnen, weil wir annähernd genau wissen, wie lange eine infizierte Person infektiös ist. Aus der Grafik unten können Sie ersehen, dass das errechnete Ergebnis (die blaue und die braune Kurve, hier für Luxemburg) doch sehr exakt mit der reellen Situation übereinstimmt.
Erkennen Sie jetzt, warum wir die hohe Zahl an neu-Infektionen besser schnell in den Griff bekommen sollten? Und warum es gerade jetzt Sinn macht, wenn Sie Ihre sozialen Kontakte ein wenig reduzieren und auf die eine oder andere Veranstaltung verzichten?
Wie bekommt man die hohe Dunkelziffer in den Griff?
In Ländern mit hohen Testkapazitäten (meist sind das die wohlhabenden Länder dieser Welt) kommt eine hohe Dunkelziffer in der Hauptsache durch asymptomatische Fälle und sehr leichte Verläufe zustande. Weil diese Personen ja nicht merken, dass sie sich überhaupt infiziert haben und sich deswegen auch nicht von sich aus testen lassen. Das lässt sich durch eine Teststrategie vermeiden, bei der möglichst viele Menschen möglichst regelmäßig getestet werden. Luxemburg hat diesbezüglich mit seiner Teststrategie (natürlich auch bedingt durch die geringe Größe des Landes) die Nase gegenüber anderen Ländern sehr weit vorne.
In Ländern, die nicht über ausreichende Testkapazitäten verfügen, können logischerweise aufgrund fehlender Tests nicht alle Infektionen auch als solche erfasst werden. In diesen Ländern kommt es durch mangelnde Tests auch leicht einmal zu großen Diskrepanzen zwischen den erfassten Todesfällen und der statistischen Übersterblichkeit. Ein Beispiel für diese Problematik wäre Russland: laut den Daten des Economist gab es dort zwischen April und Juli 2020 etwa 83.000 mehr Todesfälle als üblich; offiziell gab es im gleichen Zeitraum aber nur 14.000 Covid-19-Todesfälle.
Der zweite Grund für eine hohe Dunkelziffer liegt in den in vielen Ländern mangelhaften Möglichkeiten der Gesundheitsbehörden zur Nachverfolgung von Kontakten. Denn dieser Prozess ist sehr personalaufwändig, und viele Gesundheitsämter sind personalmäßig eher schlecht aufgestellt. In Luxemburg funktioniert das (dank einer erheblichen Aufstockung des Personals seit Beginn der Pandemie) mittlerweile recht gut, Deutschland profitiert hier ganz erheblich vom föderalen Ansatz mit vielen lokalen Gesundheitsämtern mit ziemlich weitreichenden lokalen Vollmachten. Dieses föderale System dürfte für Deutschland der Hauptgrund für die, verglichen mit anderen europäischen Ländern, noch relativ gute Lage sein.
In beiden Fällen kann übrigens ein jeder von uns helfen. Bei den Tests helfen wir den Behörden schon erheblich, wenn wir hingehen und uns testen lassen. Und bei der Kontaktnachverfolgung, wenn’s denn eben doch schiefgehen sollte, können wir den Gesundheitsämtern die Nachverfolgung erheblich erleichtern, wenn wir angeben können, mit wem wir uns wann getroffen haben.
Die Abhängigkeit der Statistik von den Daten
In Ländern mit einer hohen Qualität statistischer Daten lässt sich die Dunkelziffer, die durch das Nicht-Testen asymptomatischer Fälle entsteht, statistisch relativ zuverlässig berechnen (deswegen dürften gerade die Berechnungen für Luxemburg und Deutschland der Realität recht nahe kommen). Reicht die Anzahl der Tests in einem Land nicht aus oder werden nicht alle vorhandenen Daten freigegeben, ist auch der beste Statistiker machtlos und kann allenfalls noch ungefähre Schätzungen und Trends angeben.
An dieser Stelle möchte ich auf eine weitere Kennzahl eingehen, die gerade in Ländern mit einer kohärenten Teststrategie und einer hohen Datenqualität sehr wichtig ist, nämlich die sogenannte Positivrate. Dieser Wert gibt an, welcher Anteil an den in einem bestimmten Zeitraum durchgeführten SARS-CoV-2-Tests positiv ausgefallen ist.
Bei einer gleichmäßigen Verteilung des Virus in der Bevölkerung, einer ungefähr gleichbleibenden Ansteckungsrate (der allseits beliebte R-Wert) und einer unveränderten Teststrategie sollte die Positivrate ebenfalls ungefähr gleichbleiben. Nimmt nun die Ansteckungsrate in der Bevölkerung zu, dann sollte die Positivrate ungefähr proportional zur Ansteckungsrate ansteigen.
Wenn die Positivrate beginnt, sich überproportional zur Steigerungsrate der Infektionen zu entwickeln, dann ist es recht wahrscheinlich, dass das entsprechende Land mehr und mehr symptomatische Fälle testet (die eher von sich aus zum Test gehen) und darüber die asymptomatischen Fälle aus den Augen verliert. Die Dunkelziffer der in der Bevölkerung verteilten aktiv infizierten Menschen (und damit das Infektionsrisiko) nimmt in diesem Fall zu.
In Luxemburg ist diese Entwicklung (im Gegensatz zu vielen anderen Ländern) bisher noch nicht eingetreten. Die Dunkelziffer der aktiv Infizierten steigt zwar aufgrund der Steigerung der Neu-Infektionen kräftig an und damit nimmt das Infektionsrisiko für jeden von uns zu. Aber bisher sieht es noch danach aus, als kämen die Gesundheitsbehörden mit der Nachverfolgung der Kontakte mehr oder weniger zurecht und als würde die Teststrategie der Regierung nach wie vor funktionieren. In den letzten Tagen deutet sich allerdings (wohl aufgrund der sehr hohen Anzahl von neu-Infektionen) ein Trend zu einer leicht überproportionalen Entwicklung an, der genau beobachtet werden sollte. Aus der folgenden Grafik lässt sich das ziemlich eindeutig ersehen.
Das sollte man übrigens keinesfalls als Entwarnung missverstehen. Denn die Dunkelziffer steigt aufgrund der hohen Zahl von Neu-Infektionen derzeit stark an, die Situation in den Kliniken wird sich infolgedessen in den nächsten Wochen drastisch verschlechtern. Luxemburg geht gerade in ein exponentielles Wachstum über, das schnellstmöglich durch eine Reduzierung der Kontakte jedes Einzelnen gestoppt werden muss.
Mehr darüber, wie jeder von uns zur Verringerung des Wachstums beitragen kann, finden Sie bei Interesse auch im Artikel Wie konnte es soweit kommen – und was tun? vom 25. Oktober 2020 in diesem Blog.
Fazit
Das Verständnis der Dunkelziffer und der Zusammenhang mit der Anzahl der durchgeführten Tests ist ziemlich entscheidend, um den Verlauf dieser Pandemie zu verstehen. Denn es erleichtert das Verständnis dafür, dass die derzeit recht niedrige Zahl an Todesfällen eben keine Entwarnung oder ein Zeichen für ein weniger virulent gewordenes Virus darstellt, sondern relativ einfach erklärbar ist.
Denn die erste Welle im März/April dieses Jahres war deutlich größer, als es die offiziellen Zahlen vermuten lassen. Einfach deswegen, weil in der Anfangsphase dieser Pandemie beinahe nur symptomatische oder schwer symptomatische Fälle getestet wurden, bei denen ein schwerer Verlauf der Covid-19-Erkrankung ziemlich wahrscheinlich ist. Über die Bedeutung der asymptomatischen Fälle waren wir uns damals nicht im Klaren und auch die zum Testen notwendige Laborkapazität stand damals nicht zur Verfügung.
Mit zunehmendem Wissensstand haben ein paar Länder weltweit (darunter auch Luxemburg und Deutschland) sehr schnell reagiert und neben den Eindämmungsmaßnahmen auch mit großem finanziellen und personellen Einsatz den schnellen Aufbau der notwendigen Testkapazitäten und der Strukturen zur Kontaktnachverfolgung vorangetrieben.
Diese Maßnahmen haben bislang gut funktioniert und dafür gesorgt, dass Luxemburg und Deutschland heute als die „Musterknaben“ Europas dastehen. Das wird zwar von vielen Kommentatoren (gerade in den sozialen Netzwerken) anders gesehen, aber schauen Sie sich doch einfach einmal die Situation in Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Spanien oder Italien an. Ich vermute, dass Sie sich so etwas für Luxemburg nicht wünschen.
Deswegen sollten wir die Dunkelziffer im Hinterkopf behalten und dafür sorgen, dass sie nicht zu sehr ansteigt. Denn jetzt liegt’s an jedem Einzelnen von uns, ob wir die „Musterknaben Europas“ bleiben.
Also hören Sie bitte nicht auf die zahlreichen Schönredner und verfallen Sie nicht der allerorts anzutreffenden Pandemie-Müdigkeit. Verfallen Sie nicht dem Fehlglauben, dass das SARS-CoV-2-Virus mittlerweile weniger virulent wäre oder dass man mit ihm diskutieren könne. Beides ist nicht der Fall.
Halten Sie sich stattdessen lieber an die Regeln, tragen Sie den Mund-Nasen-Schutz und reduzieren Sie die Zahl Ihrer Kontakte. Und bitte ersparen Sie sich eine Enttäuschung und rechnen Sie nicht damit, dass wir diese Einschränkungen vor dem Frühjahr wieder los werden. Denn das SARS-CoV-2-Virus wird uns noch lange begleiten und bis zum Frühjahr wird es mit ziemlicher Sicherheit weder eine großflächige Impfmöglichkeit noch eine Herdenimmunität geben.
Wie denken Sie darüber? Haben Sie Anmerkungen oder andere Ideen zu diesem Thema? Oder sehen Sie es ganz anders? Schreiben Sie es mir in den Kommentaren.
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