Corona

Delta, der Herbst, die vierte Welle und die Impf-Unwilligkeit

Die Washington Post hat in einem Artikel vom 28. Juli und in einem weiteren Artikel vom 29. Juli über eine als vertraulich gekennzeichnete Präsentation der amerikanischen Seuchenschutzbehörde CDC (Centers for Disease Control) berichtet. Die Präsentation ist deswegen so alarmierend, weil in ihr die Delta-Variante des SARS-CoV-2-Virus als so infektiös wie die Windpocken beschrieben wird (die eine der ansteckendsten Infektions-Krankheiten überhaupt ist) und weil sie die hohe Infektiösität nach Impfdurchbrüchen thematisiert.

In den aktuellen Richtlinien der CDC wird deswegen darauf hingewiesen, dass auch geimpfte Menschen nach einer SARS-CoV-2-Infektion eine sehr hohe Viruslast aufweisen und das Virus auch weitergeben können. Deswegen sollten nach Ansicht der CDC auch geimpfte Menschen in bestimmten Situationen wieder Masken tragen, wenn gefährdete Personen anwesend sein können.

Etwas problematisch ist dabei, dass die CDC nicht angibt, woher die der Empfehlung zugrundeliegenden Daten stammen, in den Dokumenten ist lediglich von „CDC COVID-19 Response Team, unpublished data, 2021“ die Rede. Und solange diese Daten nicht vorliegen, ist die Beurteilung naturgemäß etwas schwierig.

Es gibt allerdings entsprechende Daten aus anderen Studien und deswegen möchte ich in diesem Artikel einmal zusammenfassen, was wir bisher über diese Impfdurchbrüche der Delta-Variante wissen, wie gefährlich das wirklich ist, wie es die Entwicklung der nächsten Monate auch bei uns in Europa beeinflussen könnte und warum die Covid-Impfung unser einziges Mittel dagegen ist.

Warum ist Delta so viel ansteckender?

Mittlerweile dürfte klar sein, dass die Impfung (das gilt für alle in der EU zugelassenen Impfstoffe) auch bei der Delta-Variante gegen schwere Krankheitsverläufe schützt. Weniger klar ist allerdings, inwieweit sich durch eine Impfung auch die Ansteckungsgefahr für andere verringert. Es gibt durchaus Studien, die darauf hindeuten, dass sich Geimpfte weniger häufig als Ungeimpfte infizieren und dass bei Geimpften (wenn sie sich dann doch einmal anstecken) die Viruslast erheblich schneller wieder abnimmt.

Eine (noch nicht begutachtete) Studie aus den USA kam jüngst zu dem Ergebnis, dass geimpfte und mit der Delta-Variante Infizierte die gleiche Viruslast haben wie Ungeimpfte (wobei diese Studie mit nur 80 Teilnehmern für ein belastbare Aussage recht klein ist). Eine andere (ebenfalls noch nicht begutachtete) Studie aus Singapur kommt zu dem Schluss, dass die Viruslast bei infizierten Geimpften schneller absinkt, weil das Immunsystem durch die Impfung die Viren schneller reagiert und die Viren daher schneller unschädlich machen kann (der Effekt tritt nach vier Tagen ein, davor ist die Virenlast nahezu gleich).

Chinesische Forscher haben in einer kürzlich veröffentlichten (und ebenfalls noch nicht begutachteten) kleineren Studie mit 167 Teilnehmern untersucht, um wie viel höher die Viruslast bei der Delta-Variante ausfällt. Nach dieser Studie wiesen Menschen, die mit der Delta-Variante infiziert waren, eine im Vergleich zur Ursprungs-Variante bis zu 1.260-mal höhere Viruslast auf (im Vergleich mit der Alpha-Variante wäre das immer noch eine zehn- bis zwölfmal höhere Viruslast).

Aus einer anderen aktuellen chinesischen Studie (Preprint vom 13. August 2021) geht hervor, dass die Delta-Variante die Menschen schneller und stärker infiziert. Beim Wildtyp des SARS-CoV-2-Virus war das Virus durchschnittlich 5,5 Tage nach der Infektion nachweisbar, Symptome der Erkrankung traten nach 6,3 Tagen auf, was einem Zeitfenster von 0,8 Tagen für die präsymptomatische Ansteckung entspricht (das ist der Zeitraum, in dem die infizierte Person aufgrund fehlender Symptome noch nichts von ihrer Infektion bemerken kann). Bei der Delta-Variante ist das Virus bereits durchschnittlich 4 Tage nach der Infektion nachweisbar, die Symptome treten 5,8 Tage nach Infektion auf.

Damit ist das Zeitfenster für die präsymptomatische Ansteckung bei der Delta-Variante mit 1,8 Tagen mehr als doppelt so lang. Diese erheblich größere Zeitspanne der unbemerkten Infektiösität macht, neben der auch in dieser Studie festgestellten höheren Viruslast, die Delta-Variante noch einmal um ein Vielfaches gefährlicher.

Kurz zusammengefasst verursacht die Delta-Variante eine höhere Viruslast und ist deswegen infektiöser. Außerdem ist sie etwas schneller als bisherige Varianten, deswegen sind Infizierte schon früher ansteckend und bleiben es über einen Zeitraum von bis zu knapp 2 Tagen, bevor die ersten Symptome auftauchen.

Delta is alpha on steroids

James M. Musser, Houston Methodist Hospital and Research Institute, Quelle

Der Einfluss der Impfungen

In den Medien und in den sozialen Netzwerken ist viel von Impfdurchbrüchen die Rede, also von Menschen, die sich trotz vollständiger Impfung mit dem SARS-CoV-2-Virus infiziert haben und deren PCR-Test positiv ausgefallen ist. Schwurbler nutzen das gerne mal als Argument und stellen den Sinn der Impfung in Frage, weil man sich ja trotz Impfung immer noch infizieren und das Virus auch weitergeben könne.

Quelle: Twitter

Grundsätzlich stimmt das natürlich, trotzdem entspricht die Argumentation dem sprichwörtlichen Vergleich von Äpfel und Birnen (der Cartoonist Benjamin Slyngstad hat das in dem hier gezeigten Cartoon sehr schön auf den Punkt gebracht). Denn keine Impfung bietet eine hundertprozentige Sicherheit, Impfdurchbrüche wird es immer geben. Im Fall einer Infektion trotz Impfung geht es eher darum, wie viel Schutz vor einem schweren Verlauf die Impfung bietet und in welchem Maße sie die Infektiösität verringern kann.

Und diese Schutzwirkung der Impfung ist sehr gut, sie verringert das Ansteckungs-Risiko um gut 80 Prozent (in Luxemburg liegt die Wochen-Inzidenz im Durchschnitt der letzten vier Wochen für Geimpfte bei 24,36 und für Ungeimpfte bei 124,42) und verhindert schwere Verläufe in beinahe allen Fällen. Deswegen liegen auf den Intensivstationen der Kliniken fast nur ungeimpfte Patienten und deswegen entfallen 99 Prozent der aktuellen Covid-19-Todesfälle auf nicht geimpfte Menschen.

Dazu kommt noch, dass die meisten schweren Verläufe nach einem Impfdurchbruch wohl bei Menschen mit Immundefiziten vorkommen. Solche Immundefizite finden sich bei älteren Menschen (das Immunsystem ist mit zunehmendem Alter weniger aktiv) und bei Menschen mit einer Immunsuppression (entweder aufgrund einer Erkrankung oder aufgrund von Medikamenten bei z.B. Chemotherapie oder Organtransplantationen).

Die Funktionsweise unseres Immunsystems

Warum das so ist, lässt sich recht einfach und logisch erklären, wenn man sich einmal die Funktionsweise unseres Immunsystems vor Augen führt.

Unser Immunsystem bekämpft Viren mit Antikörpern im Blut (IgM und IgG) und auf den Schleimhäuten (IgA). Bei einer Infektion mit einem neuen Virus muss unser Immunsystem den Eindringling erkennen und die passenden Antikörper bilden. Das dauert etwas, und in dieser Zeit kann sich das Virus im Rachenraum vermehren (von dort wird es mit Tröpfchen ausgeschieden und infiziert andere) und sich im gesamten Körper verbreiten (dort befällt es andere Organe und schädigt sie). Der Körper kann dagegen erst dann etwas tun, wenn die passenden Antikörper zur Verfügung stehen. Und bis dahin ist der Schaden in vielen Fällen schon angerichtet.

Wenn unser Immunsystem schon einmal mit einem bestimmten Virus in Kontakt gekommen ist (oder durch eine Impfung auf dieses Virus vorbereitet wurde), muss es nicht mehr nach den passenden Antikörpern suchen. Denn es kann sich an das Virus erinnern und beginnt deswegen ohne lange Suche sofort mit der Produktion der passenden Antikörper. Und weil das sehr viel schneller geht, wird das Virus nach dem Eindringen in den Körper auch sehr viel schneller bekämpft. Dabei sorgen die Antikörper im Blut dafür, dass das Virus sich gar nicht erst im Körper ausbreiten und damit auch keine Organe schädigen kann (deswegen haben geimpfte Menschen viel seltener schwere Verläufe). Und die Antikörper auf den Schleimhäuten kümmern sich darum, dass das Virus auch im Rachenraum sehr viel schneller bekämpft und dann nicht mehr ausgeschieden wird (deswegen sind geimpfte Menschen sehr viel weniger lange infektiös als ungeimpfte).

Die Vorbereitung des Immunsystems auf das SARS-CoV-2-Virus kann auf zwei verschiedene Arten erfolgen. Entweder durch eine natürliche Infektion mit dem Risiko eines schweren Verlaufs und möglichen Spätfolgen, weil sich das Virus ziemlich lange ungestört im Körper ausbreiten kann. Oder eben durch die Impfung, durch die das Immunsystem ohne großes Risiko auf das Virus vorbereitet wird und es danach effektiv und schnell bekämpfen kann.

Diejenigen, die sich aktiv gegen die Impfung entscheiden, die müssen wissen, dass sie sich damit auch aktiv für die natürliche Infektion entscheiden – ohne jede Wertung.

Prof. Christian Drosten im NDR Coronavirus-Update 88

Anmerkung: die obigen Erklärungen zum Immunsystem sind zugunsten einer besseren Verständlichkeit bewusst laienhaft gehalten. Eine genauere Erklärung gibt’s bei Interesse in den Artikeln Was sagen Antikörpertests eigentlich aus? und Das sollten Sie unbedingt über Impfungen und Immunität wissen in diesem Blog. Die Daten zu Impfdurchbrüchen und den Reaktionen des Immunsystems nach einer Impfung sind mittlerweile auch durch Studien untermauert, Erklärungen dazu finden Sie im Artikel Wieso kommt es überhaupt zu Durchbruchsinfektionen? von Prof. Carsten Watzl hier im Blog.

Was bedeutet das für uns?

Zunächst einmal scheint ziemlich sicher, dass die Delta-Variante die Hoffnung auf einen entspannten Herbst zur Illusion machen wird. Das Virus wird uns wie im vergangenen Jahr im Griff haben, aber es gibt doch ein paar Unterschiede. Denn wir haben in diesem Herbst etwas, dass wir dem Virus entgegensetzen können, nämlich die Impfungen. Deswegen sind erneute Einschränkungen wahrscheinlich nicht der richtige Weg, um die sich abzeichnende vierte Welle zu brechen.

Um eine vierte Welle ohne neuerliche Einschränkungen meistern zu können und unsere Gesundheitssysteme nicht erneut an den Rand des Abgrunds zu treiben, brauchen wir allerdings etwas Glück. Denn dafür sollten einige unserer Annahmen auch tatsächlich zutreffen:

  1. Die in der EU zugelassenen Impfstoffe schützen auch bei der Delta-Variante in über 90 Prozent der Fälle vor einem schweren Krankheitsverlauf
  2. Die Impfung verringert tatsächlich die Infektiösität
  3. Wir schaffen es, die bisher ungeimpften Menschen (gerade diejenigen zwischen 12 und 49 Jahren) von den Vorteilen einer Impfung zu überzeugen und bis zum Herbst viele von ihnen vollständig zu impfen
  4. Es entsteht nicht doch noch irgendwo eine echte „Escape-Variante“, die den Immunschutz durch die aktuellen Impfstoffe aushebeln kann

Wenn alle diese Prämissen zutreffen, dann sollten wir die sich derzeit abzeichnende neue Pandemie-Welle ohne größere Probleme im Gesundheitswesen überstehen, ohne dass wir dazu neuerliche Einschränkungen benötigen.

Was passieren wird, wenn wir das nicht schaffen sollten, können wir gerade in anderen Ländern verfolgen. Australien galt, genau wie viele asiatische Länder, einmal als Vorbild für die Pandemie-Bekämpfung, es gab weniger Tote und weniger Einschränkungen als in anderen Industrieländern. Jetzt schlägt die Delta-Variante und die vierte Welle mit aller Macht zu, in Ländern wie Australien oder Taiwan ist das öffentliche Leben inzwischen stärker eingeschränkt als bei uns. Eine ähnliche Entwicklung zeichnet sich beispielsweise in den USA ab, wo in manchen Staaten das Gesundheitswesen aufgrund ständig steigender Infektionszahlen erneut vor dem Kollaps steht.

Auch Israel, dass ja die Pandemie als eines der ersten Länder mit einer schnellen Impfkampgane zwischenzeitlich weitgehend unter Kontrolle gebracht hatte, ist seit dem 18. August 2021 zu neuerlichen Einschränkungen gezwungen. Mit Ausbreitung der Delta-Variante ist die Anzahl der Neu-Infektionen auf den höchsten Stand seit Januar gestiegen (die aktuelle Wochen-Inzidenz liegt bei 527), die Zahl der hospitalisierten Patienten steigt beständig an und gleichzeitig stagniert die Anzahl der Impfungen (vollständig geimpft sind knapp 68 % der Bevölkerung).

Die Dunkelziffer nimmt zu

Die schnell ansteigende Inzidenz in vielen Ländern hat übrigens ebenfalls etwas mit der höheren Infektiösität der Delta-Variante und mit dem Impfverlauf zu tun. Denn wir haben (was auch völlig richtig war) mit den Impfungen bei den älteren Menschen begonnen und uns zu den Jüngeren vorgearbeitet, weil die Älteren nun einmal ein höheres Risiko für schwere Verläufe und Todesfälle haben.

Aber diese Impfpriorisierung führt auch dazu, dass sich jetzt vermehrt jüngere Menschen infizieren, die vielfach überhaupt keine oder nur leichte Symptome einer Covid-Erkrankung haben. Außerdem wissen wir schon aus den vergangenen 18 Monaten, dass sich jüngere Menschen deutlich weniger testen lassen, als dies bei älteren der Fall ist. Bei ihnen wird also eine eventuelle Infektion vermutlich seltener festgestellt, weil sie von der Infektion gar nichts bemerken.

Deswegen sollten wir davon ausgehen, dass der Anteil der unerkannt infizierten (und infektiösen) Menschen in unserer Bevölkerung ständig zunimmt. Umso mehr unerkannt Infizierte sich aber nun in unserer Gesellschaft frei bewegen (weil sie ja gar nicht wissen, dass sie infiziert und infektiös sind), umso größer wird das Risiko für jeden von uns, auf einen dieser Infizierten zu treffen und sich anzustecken.

Diesen Anteil der unerkannt Infizierten in einer Population nennt man Dunkelziffer. Sie stellt ein erhebliches Problem dar. Denn diese Dunkelziffer treibt die Pandemie immer wieder an, und das lässt sich nur durch Einschränkungen der sozialen Interaktionen bremsen. Mehr zum Thema finden Sie bei Interesse auch im Artikel Das Infektions-Geschehen im Hintergrund wird gerade zum Problem vom 27. Mai 2021 in diesem Blog.

Corona wird zur “Pandemie der Ungeimpften“

Wenn wir uns dazu entschließen, die vierte Welle ohne Einschränkungen zu meistern, sollten wir dabei allerdings im Kopf behalten, was ein solches „Durchlaufen lassen“ einer weiteren Pandemiewelle bedeutet. Denn trotz aller Impf-Fortschritte (Stand: 18. August 2021, Quelle: OurWorldInData) sind im Moment noch mehr als 45 Prozent der EU-Bevölkerung ohne vollständigen Impfschutz, im gesamten Europa sind es gut 55 Prozent.

Alleine in Luxemburg sind derzeit über 260.000 Menschen ohne vollständigen Impfschutz (in ganz Europa sind es mehr als 417 Millionen), selbst ohne die 0- bis 11-jährigen (für die es derzeit ja keinen zugelassenen Impfstoff gibt) bleiben immer noch mehr als 190.000 Menschen übrig. Weit mehr als die Hälfte dieser nicht geschützten Menschen ist zwischen 18 und 49 Jahre alt und nimmt rege am sozialen Leben teil.

Und leider sehen wir in der Grafik auch relativ klar, dass in genau dieser Altersgruppe zwischen 18 und 49 Jahren die Impfbereitschaft offenbar recht stark abnimmt, der Fortschritt beginnt zu stagnieren.

Das wiederum wird (falls die Impfbereitschaft nicht deutlich zunimmt) dazu führen, dass wir in den Kliniken eine Zunahme der schweren Verläufe bei jüngeren Menschen sehen werden. Es werden anteilig gesehen längst nicht so viele sein, wie das in den ersten Pandemiewellen der Fall war (weil die vulnerabelsten älteren Bevölkerungsgruppen zu einem Großteil geschützt sind), aber es wird sie geben.

Und genau deswegen wird die Corona-Pandemie im Herbst zu einer Pandemie der Ungeimpften werden. Wir sehen auch das derzeit ziemlich gut in den USA, dort haben Berichte von geläuterten Impfskeptikern in den Medien gerade Hochkonjunktur.

Wenn wir eine solche Entwicklung bei uns vermeiden möchten, dann haben wir genau zwei Möglichkeiten. Entweder bringen wir die jüngeren Menschen irgendwie dazu, dass sie sich möglichst schnell impfen lassen. Oder wir beschränken die sozialen Interaktionen ungeimpfter Menschen, indem wir ihnen den Zutritt zu Orten mit hohem Infektions-Risiko (das sind hauptsächlich Innenräume, in denen sich viele Menschen über längere Zeit aufhalten) nur noch Geimpften und Genesenen gestatten. Beispielsweise in Frankreich und Deutschland wird schon offen über die Planungen solcher Beschränkungen diskutiert, andere Länder werden sich dem mit ziemlicher Sicherheit anschließen.

Ein paar Gründe, sich jetzt impfen zu lassen

Wie Sie oben bereits gesehen haben, gibt es eine Menge guter Gründe dafür, sich auch als jüngerer Mensch möglichst schnell impfen zu lassen.

Die Impfung verhindert die meisten Infektionen

Wir haben weiter oben in diesem Artikel schon gesehen, dass die Impfung die meisten Infektionen verhindern kann. Dieser Schutz lässt zwar mit der Zeit etwas nach (wie lange das genau dauert, wissen wir derzeit noch nicht), aber selbst dann sorgt das Immungedächtnis immer noch dafür, dass das Immunsystem eine eventuelle Infektion deutlich schneller bekämpfen kann.

Aus einer Modellierung der Universität Cambridge von Ende Juni geht hervor, die Impfungen in Großbritannien bisher wenigstens 7,2 Millionen Infektionen und 27.000 Todesfälle verhindert haben. Auch aus den Zahlen von Singapur lässt sich ableiten, dass die Impfung die Weitergabe des Virus im Falle von Impfdurchbrüchen stark einschränken kann, auf Twitter finden sich entsprechende Auswertungen.

Selbst bei Impfdurchbrüchen sorgt die Impfung dafür, dass schwere Verläufe kaum noch vorkommen

Weiter oben habe ich erklärt, warum es bei geimpften Menschen nur sehr selten zu schweren Verläufen kommt. An Zahlen aus Großbritannien lässt sich das belegen.

Sky News hat die aktuellen Zahlen der englischen Gesundheitsbehörde in diesem Artikel vom 28. Juli 2021 analysiert. Laut dieser Analyse lag die Rate der Krankenhaus-Einweisungen bei Impfdurchbrüchen mit der Delta-Variante bei geimpften Personen im Alter von über 50 Jahren bei 3,5%, bei ungeimpften bei 8,4%. Das Risiko einer Krankenhaus-Einweisung war bei ungeimpften Infizierten also 2,4-mal höher.

Ähnlich sieht es bei den Todesfällen aus. Bei Impfdurchbrüchen mit der Delta-Variante gab es in der gleichen Altersgruppe bei geimpften Personen eine Sterberate von 2%, bei ungeimpften Menschen waren es 5,6%. Das Todesfall-Risiko war bei ungeimpften Infizierten also 2,8-mal höher.

Und das ist noch nicht einmal die halbe Wahrheit, tatsächlich sind die Risiken für Ungeimpfte noch einmal deutlich höher. Denn in diesen Zahlen ist nicht enthalten, dass die Impfung schon vorab den größten Teil der Infektionen verhindert hat. Wenn man davon ausgeht, dass die Impfung um die 75 Prozent der Infektionen verhindert, dann steigt das Risiko für Ungeimpfte für einen schweren Verlauf oder einen Todesfall auf weit über das Zehnfache an (bei allen anderen Varianten ist das Risiko für Ungeimpfte übrigens noch einmal deutlich höher, weil die Impfung da noch erheblich mehr Schutz bietet).

Eine Covid-19-Erkrankung hat deutlich schlimmere Folgen als jede bekannte Impfreaktion

Bei einer Covid-Impfung treten relativ häufig einige typische Impfreaktionen (beispielsweise Schmerzen an der Einstichstelle, Kopfschmerzen oder Fieber, eine ausführliche Auflistung gibt es beispielsweise hier bei infektionsschutz.de) auf. Diese Impfreaktionen lassen nach einigen Tagen nach und zeigen letztlich nur an, dass sich das Immunsystem mit einem bis dahin fremden Erreger auseinandersetzt (solche Impfreaktionen treten nicht bei allen Geimpften auf, das Ausbleiben solcher Reaktionen bedeutet nicht, dass die Impfung nicht wirken würde).

Neben den oben genannten leichten Impfreaktionen gibt es selten auftretende sogenannte Impfkomplikationen, das sind schwerer wiegende unerwünschte Impfreaktionen. Angesichts der hohen Anzahl der bisher durchgeführten Impfungen und der Meldepflicht solcher Impfkomplikationen kann man vermutlich davon ausgehen, dass alle dieser Komplikationen mittlerweile bekannt sein dürften. Dazu zählen die sehr selten auftretenden Herzmuskel- und Herzbeutelentzündungen (Myokarditis und Perikarditis) bei den mRNA-Impfstoffen von BioNTech/Pfizer und Moderna sowie die ebenfalls sehr seltenen Sinusvenenthrombosen, Kapillarlecksyndrome und Guillain-Barré-Syndrome bei den Vektor-Impfstoffen von AstraZeneca und Johnson.

Gemeinsam ist allen diesen Impfkomplikationen, dass sie bei der Covid-Impfung sehr selten und bei einer Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus deutlich häufiger auftreten. Weil man davon ausgehen muss, dass sich jeder nicht geimpfte Mensch in absehbarer Zeit mit dem SARS-CoV-2-Virus infizieren wird, stellt die Covid-Impfung das weitaus geringere Risiko dar und wird deswegen auch von den verschiedenen Gesundheitsbehörden empfohlen.

Langzeitfolgen der Impfung sind ein Produkt der Fantasie

In Schwurblerkreisen wird gerne vor Langzeitfolgen oder Langzeitnebenwirkungen der Covid-Impfung gewarnt, hauptsächlich mit Argumenten wie „Aber wir wissen ja nicht, was in ein paar Jahren sein wird“ und meist ergänzt um einen Verweis auf die Schweinegrippe-Impfung (mit dem Impfstoff Pandemrix) und dem Auftreten der Narkolepsie.

Es ist nun sicher richtig, dass keiner von uns in die Zukunft schauen kann. Ebenso richtig ist aber auch, dass wir erstens recht genau wissen, wie unser Immunsystem funktioniert und wann Nebenwirkungen auftreten. Und dass zweitens die bei der Pandemrix-Impfung aufgetretenen Fälle von Narkolepsie keine Langzeitfolge, sondern schlicht eine seltene Nebenwirkung waren.

Kommen wir zunächst einmal zu Pandemrix und der Narkolepsie. Mittlerweile wissen wir aus Studien (beispielsweise aus dieser 2012 bei Plos One erschienenen), dass die ersten Symptome der Narkolepsie innerhalb der ersten sechs Wochen nach der Pandemrix-Impfung aufgetreten sind. Das Paul-Ehrlich-Institut geht nach eingehenden Studien heute davon aus, dass Pandemrix pro 100.000 Impfungen zu 2 bis 6 zusätzlichen Narkolepsie-Fällen bei Kindern und Jugendlichen und knapp 1 zusätzlichem Fall pro Erwachsenen führt.

Trotz des frühzeitigen Auftretens von Symptomen wurden die Narkolepsie-Fälle aufgrund des seltenen Auftretens zunächst einmal nicht mit der Impfung in Zusammenhang gebracht. Hauptsächlich lag das am relativ langsamen Impfverlauf und den deswegen selten auftretenden Fällen. In der EU wurden 2009/2010 knapp 31 Millionen Menschen gegen die Schweinegrippe geimpft, weltweit waren es gut 60 Millionen, dabei wurden rund 1.300 Narkolepsie-Erkrankungen entdeckt. Die Narkolepsie-Fälle hätten damals früher entdeckt werden können, wären die Nebenwirkungen nicht so selten gewesen.

Ein solches Übersehen schwerwiegender Impfkomplikationen ist bei der Covid-Impfung schon aufgrund der enormen Anzahl der Impfungen nahezu ausgeschlossen. Bis heute wurden alleine in Europa knapp 700 Millionen Dosen verimpft, weltweit waren es über 4,7 Milliarden. Deswegen entdecken wir beim Covid-Impfstoff sogar Komplikationen wie die Sinusvenenthrombosen, das Guillain-Barré-Syndrom oder das Kapillarlecksyndrom sehr früh, obwohl sie noch deutlich weniger häufig als die Narkolepsie bei der Schweinegrippe-Impfung aufgetreten sind. Trotzdem geht die Überwachung der Impfstoffe natürlich weiter.

Was aber viel wichtiger ist, wir wissen auch, warum keine Langzeitfolgen der Impfung auftreten können. Denn im Gegensatz zu klassischen Arzneimitteln wird im Falle der in der EU zugelassenen Covid-Impfstoffe nichts im Organismus angereichert und verteilt (die sogenannte Pharmakokinetik), die Wirkstoffe (in diesem Fall die RNA-Moleküle) sind instabil und werden sehr schnell wieder abgebaut. Bei den Covid-Impfstoffen gibt es nur die Wirkung (die sogenannte Pharmakodynamik) im Organismus, die immunologische Reaktion, danach verschwindet der Wirkstoff rückstandslos aus dem Körper.

Nebenwirkungen und eventuelle allergische Reaktionen zeigen sich deshalb innerhalb weniger Minuten bis einige Tage nach der Impfung, selbst sehr seltene Autoimmunreaktionen treten spätestens nach wenigen Wochen auf. Spätnebenwirkungen, die erst einige Jahre nach der Impfung auftreten, gibt es schon aus rein biologischen Gründen (siehe oben) nicht.

Trotzdem erfassen die Gesundheitsbehörden die Nebenwirkungen der Covid-Impfung über lange Zeiträume hinweg. Das geschieht aber nicht, um eventuelle Spätnebenwirkungen aufzudecken, sondern um sehr seltene Nebenwirkungen erfassen zu können. Wenn nämlich eine Nebenwirkung nur bei einer von einer Million Menschen auftritt, dann brauchen wir eine sehr große Zahl geimpfter Personen, um diese Nebenwirkung überhaupt erkennen und zuordnen zu können.

Deswegen bezieht sich das Wörtchen „Langzeitfolgen“ bei Impfstoffen nicht auf die Zeit, nach der eine Nebenwirkung auftritt, sondern auf die Zeit, nach der überhaupt genug Personen geimpft sind, um eine eventuelle Nebenwirkung dem Impfstoff sicher zuordnen zu können. Und deswegen können wir bei der Covid-Impfung mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, dass wir auch sehr selten auftretende Nebenwirkungen mittlerweile kennen dürften, weil noch niemals so viele Daten in so kurzer Zeit zur Verfügung gestanden haben.

Bei der Covid-Impfung sind die sogenannten „Langzeitfolgen“ also lediglich sehr seltene Nebenwirkungen, die wir zum allergrößten Teil bereits entdeckt haben sollten.

Eine Impfung schützt offenbar auch vor Long-Covid und reduziert teilweise sogar schon vorhandene Long-Covid-Symptome

Die Studienlage zu Long-Covid wird immer besser. Mittlerweile häufen sich die Indizien dafür, dass die Impfung das Risiko für Long-Covid-Symptome um rund 30 Prozent verringert und dass eine Impfung wohl auch in vielen Fällen sogar bereits bestehende Long-Covid-Symptome verbessern kann.

Da das Thema Long-Covid sehr komplex ist und den Rahmen dieses Artikels sprengen würde, möchte ich Sie an dieser Stelle auf den Artikel Die versteckte Pandemie – Long-Covid hier im Blog hinweisen, in dem Sie alle relevanten Informationen zum Thema finden können.

Die Covid-Impfung vermindert die Infektiösität im Fall einer Durchbruchs-Infektion

Die Covid-Impfung schützt auch bei der Delta-Variante recht gut gegen eine Infektion und sie vermindert auch die Möglichkeit zur Weitergabe des Virus an andere. Warum das so ist und welche Daten wir dazu mittlerweile haben, habe ich bereits weiter oben in diesem Artikel erklärt.

Um wieviel genau sich das Risiko für Geimpfte verringert, ist noch nicht ganz klar. Es sieht aber danach aus, als sei das Infektions-Risiko für Geimpfte auch bei der Delta-Variante um rund 80 Prozent geringer. Das Risiko der Weitergabe des Virus sinkt nach vorläufigen Daten ebenfalls, weil die Viruslast am Rachenraum bei Geimpften deutlich schneller abnimmt. Genau beziffern lässt sich das derzeit aber noch nicht.

Sicher ist aber, dass die Impfung auch die Infektiösität vermindert und das sie damit nicht nur die geimpfte Person selbst, sondern auch sein Umfeld schützt. Deswegen ist die Impfung ganz besonders wichtig, wenn im Umfeld Personen sind, die sich nicht durch eine Impfung selbst schützen können (hauptsächlich sind das Kinder unter 12 Jahren und Menschen mit Immundefiziten).

Es gibt kaum Vorerkrankungen, die gegen eine Impfung sprechen

Medizinisch gesehen gibt es eigentlich nur zwei Gründe, die gegen eine Impfung sprechen. Der eine ist das Alter, weil es für Kinder unter 12 Jahren derzeit keinen zugelassenen Impfstoff gibt. Und der andere besteht darin, dass manche Menschen eine bekannte Allergie gegen einen der Inhaltsstoffe der Impfstoffe haben.

Bei den Vektor-Impfstoffen von AstraZeneca und Johnson kommt noch der Ausschluss von Personen mit Kapillarlecksyndrom hinzu. Aber zum einen ist diese Erkrankung extrem selten (weltweit sind weniger als 500 Fälle bekannt), zum zweiten können betroffene Personen mit einem der mRNA-Impfstoffe von BioNTech/Pfizer oder Johnson geimpft werden.

Sowohl die britische als auch die amerikanische Gesundheitsbehörde empfiehlt mittlerweile aufgrund neuerer Studienergebnisse eine Covid-Impfung auch für Schwangere und Stillende. Grundlage für die Empfehlungen sind mittlerweile vorliegende Studiendaten, die kein höheres Risiko durch die Impfung zeigen und die Tatsache, dass die Delta-Variante auch bei Schwangeren vermehrt zu schweren Verläufen führt.

Eine frühere Myokarditis ist ebenfalls kein Ausschluss für eine Impfung. Nur wenn eine Myokarditis nach der ersten Impfdosis mit einem der mRNA-Impfstoffe aufgetreten sein sollte, wird von einer zweiten mRNA Impfung abgeraten. Betroffene können aber für die Zweitimpfung auf einen der Vektor-Impfstoffe ausweichen.

Auch bei bestehenden Allergien wird die Impfung in den allermeisten Fällen empfohlen. Eine Kontraindikation besteht nur bei Patienten, die eine bekannte allergische Reaktion auf einen der Inhaltsstoffe der Impfung oder auf Polyethylenglycol (PEG) haben oder die bereits einmal eine Anaphylaxie oder schwere allergische Reaktion (bei der Erstimpfung oder aus unklarer Ursache) hatten. Ein Schaubild zur Entscheidungsfindung finden Sie hier als Download (PDF).

Weder Gerinnungsstörungen noch ein Faktor-V-Leiden erhöhen das Risiko, nach einer Impfung mit den Impfstoffen von AstraZeneca oder Johnson an einer Sinusvenenthrombose zu erkranken, da der Mechanismus ein anderer ist. Daher sind die Erkrankungen kein Ausschluss-Kriterium für einen der Impfstoffe.

Bei einer Autoimmunerkrankung besteht bei jeder Infektion und bei jeder Impfung das (allerdings sehr seltene) Risiko, dass ein Schub ausgelöst wird. Das ist auch bei der Covid-Impfung nicht anders und gilt daher nicht als genereller Impfausschluss (zumal das Risiko bei einer Infektion höher als bei der Impfung ist).

Ein geschwächtes Immunsystem stellt kein höheres Risiko für eine Impfung dar, kann aber bei einem Teil von ihnen dafür sorgen, dass die Impfung weniger gut funktioniert. Betroffen davon sind 5 bis 10 Prozent der Bevölkerung, entweder aus Altersgründen (mit zunehmendem Alter lässt das Immunsystem nach), aufgrund von Erkrankungen (beispielsweise Autoimmunerkrankungen wie Rheuma, Multiple Sklerose oder Diabetes Typ 1, siehe beispielsweise hier beim WDR) oder durch Medikamente (sog. Immunsuppressiva, beispielsweise bei Organtransplantationen oder Krebserkrankungen).

Für die von einer solchen Immunschwäche betroffenen Menschen stellt die Impfung kein größeres Risiko dar, sie werden allerdings für einen vollständigen Immunschutz voraussichtlich eine Auffrischungs- bzw. Booster-Impfung benötigen (mehr dazu finden Sie auch im Artikel Was sagen Antikörpertests eigentlich aus? hier im Blog).

Die Impfung dient nicht mehr dem Schutz der Gemeinschaft, sondern dem Eigennutz

Nachdem die Delta-Variante mit ihrer sehr hohen Infektiösität dafür gesorgt hat, dass eine Herdenimmunität nicht mehr erreichbar ist, hat sich auch der Fokus der Impfung geändert. Denn mittlerweile hat sich der Zeitrahmen für Ungeimpfte verändert, bei den derzeitigen Inzidenzen ist für nicht geimpfte Menschen in den europäischen Ländern eine Infektion innerhalb der nächsten 6 Monate ziemlich wahrscheinlich geworden.

Deswegen geht der Plan einiger Menschen, durch eine vermeintliche Herdenimmunität bei einer Impfquote von rund zwei Dritteln der Bevölkerung indirekt geschützt zu werden, wegen der hochansteckenden Delta-Variante nicht mehr auf. Dadurch ist die Covid-Impfung in Zeiten der Delta-Variante keine primäre Frage des Gemeinschaftsschutzes mehr, es geht jetzt nur noch darum, sich selbst zu schützen.

Abgesehen davon ist es ziemlich wahrscheinlich, dass es ab Herbst bei einer absehbar ansteigenden Zahl an Neu-Infektionen ein paar Einschränkungen für ungeimpfte Menschen geben wird. Mag sein, dass der Zutritt zu Cafés, Restaurants, Hotels, Flügen usw. auch dann noch mit einem PCR-Test möglich sein wird, sehr wahrscheinlich ist das allerdings nicht. Und wenn doch, dann dürften diese Tests kostenpflichtig sein (zumindest für diejenigen, die sich hätten impfen lassen können).

Denn die Politik scheint sich weltweit zu der Einstellung durchzuringen, dass man vollständig geimpfte Menschen nicht vom sozialen Leben ausschließen sollte (und womöglich rein rechtlich auch gar nicht kann). Demgegenüber gibt es kaum rechtliche Hindernisse für Eigentümer, wenn sie beschließen sollten, dass sie nur noch Geimpften und Genesenen Zutritt zu ihren Angeboten gewähren. In New York beispielsweise ist das bereits heute der Fall, seit dem 16. August erhalten zu bestimmten Einrichtungen (beispielsweise Restaurants, Fitnessstudios oder Theater) nur noch Geimpfte und Genesene Zutritt, ein negativer Test reicht nicht mehr aus (siehe beispielsweise hier im Tagesspiegel).

Fazit

Wir wissen also, dass die Delta-Variante des SARS-CoV-2-Virus viel infektiöser als die bisherigen Varianten ist. Und wir wissen auch, dass diese Variante deswegen eine erneute Pandemie-Welle in den nächsten Monaten auslösen dürfte (den Beginn dieser Welle sehen wir gerade).

Solange die Impfungen wirken und solange sich genügend Menschen impfen lassen, könnten wir diese erneute Pandemie-Welle eventuell auch ohne erneute Einschränkungen (wenn auch vielleicht mit einer Auffrischungs-Impfung für einen Teil von uns) überstehen. Zumindest solange wir bereit sind, die Auswirkungen eines „Durchlaufenlassens“ (siehe oben) zu akzeptieren.

Aber selbst dann ist es immer noch ein Tanz am Rande des Vulkans. Weltweit gesehen stehen uns derzeit ungefähr 60 Impfdosen pro 100 Einwohner zur Verfügung, rein rechnerisch könnten wir also rund 30 Prozent der Weltbevölkerung immunisieren. Über einen vollständigen Impfschutz verfügen im Moment gerade einmal knapp 24 Prozent der Weltbevölkerung, in Europa sind es gut 44 Prozent (Stand 18.08.2021).

Damit sind alleine in Europa noch mehr als 417 Millionen Menschen ohne vollständigen Impfschutz, weltweit sind es rund 5,9 Milliarden. Wir lassen dem SARS-CoV-2-Virus also ziemlich viel Spielraum zur Vermehrung, und mit jeder Replikation steigt natürlich auch das Risiko zur Bildung neuer Mutationen und Virus-Varianten.

Falls sich dadurch eine neue Variante des SARS-CoV-2-Virus herausbilden sollte, die den durch die Impfung verursachten Immunschutz umgehen kann, dann könnten wir sogar wieder auf die Anfangsphase dieser Pandemie mit erneuten Einschränkungen zurückgeworfen werden, also sozusagen „zurück auf Los“ gehen. Und das wollen wir vermutlich alle nicht.

Das einzige Mittel dagegen ist die schnelle Impfung möglichst vieler Menschen. Das gilt sowohl für uns in Europa als auch weltweit. In Europa haben wir genügend Impfstoffe, es liegt also nur an uns selbst und unserer Impfbereitschaft (viele gute Argumente für die Impfung gibt es auch, Sie finden Sie weiter oben). Ob wir das in Europa jetzt durch Aufklärung, Impf-Anreize, eine Impf-Pflicht oder eine Benachteiligung ungeimpfter Personen hinbekommen, ist dabei ziemlich gleichgültig. Aber wenn wir es nicht hinbekommen, dann werden uns in absehbarer Zukunft neue Einschränkungen ins Haus stehen.

Weltweit gesehen liegt es jetzt an den reichen Ländern, für eine faire und gerechte Impfstoff-Verteilung und die Schaffung der nötigen Infrastruktur für die Impfungen zu sorgen. Und zwar nicht nur aus Nächstenliebe, sondern vor allem aus Selbstschutz. Denn jede Mutation und jede Resistenz, die sich in einem Teil der Welt bildet, gefährdet auch die Länder, in denen die Bewohner bereits gegen aktuelle Varianten geimpft sind.

Kein Land der Welt kann diese Pandemie alleine beenden, der Krieg gegen das Virus kann nur global geführt werden. Und allzu viele Schlachten in diesem Krieg sollten wir nicht mehr verlieren, wenn wir ihn gewinnen möchten.

In eigener Sache: Wenn Ihnen dieser Artikel gefällt, dann können Sie mir das Schreiben und Recherchieren gerne mit einem Kaffee oder einer kleinen Spende versüßen. Eine Möglichkeit dazu finden Sie auf der Seite Buy me a coffee.

Claus Nehring

Ich bin freiberuflicher Autor, Journalist und Texter (aka "Schreiberling") aus Luxemburg. Als Informatiker und Statistiker habe ich jahrelange Erfahrung in der Visualisierung und Modellierung großer Datenmengen. Ich beschäftige mich seit mehr als 30 Jahren mit Infektionskrankheiten und publiziere Artikel zu diesem Thema, aus verschiedenen anderen Wissenschafts-Bereichen und aus dem Bereich Internet & Gesellschaft,

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert


Durch das Abschicken des Kommentars werden die eingegebenen Daten in der Datenbank dieser Website gespeichert. Ausserdem speichern wir aus Sicherheitsgründen Ihre IP-Adresse für einen Zeitraum von 60 Tagen. Weitere Informationen zur Datenverarbeitung finden Sie in der Datenschutz-Erklärung.

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"