Antigen-Schnelltests und die Illusion der Sicherheit
Prof. Christian Drosten hat in seinem letzten NDR-Podcast (Folge 84 vom 13. April 2021) ein paar interessante Dinge über Antigen-Schnelltests gesagt. Er hat dabei über die Sensitivitätslücke am Anfang der infektiösen Phase gesprochen, in denen diese Tests kein positives Ergebnis zeigen werden und dabei auch ein paar Schlüsse bezüglich des Einsatzes dieser Antigen-Schnelltests gezogen, die ich Ihnen hier wiedergeben möchte.
Das große Problem bei einer Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus liegt in der präsymptomatischen Infektiösität. Grundsätzlich ist es nämlich so, dass es bei einer Covid-19-Infektion um die acht infektiöse Tage gibt, von denen rund zwei vor Symptombeginn liegen. Der Infizierte kann in dieser Phase bereits andere Menschen anstecken, weist selbst aber noch keinerlei Symptome auf.
Ein PCR-Test erkennt die Infektion bereits in dieser frühen Phase, ein Antigen-Schnelltests wird erst am Tag nach Symptombeginn zuverlässig anschlagen. Wir werden mit Antigen-Schnelltests also ungefähr drei von acht infektiösen Tagen übersehen. Das entspricht auch ungefähr der Studienlage in Österreich, in denen die Resultate der Antigen-Schnelltests mit PCR-Tests kontrolliert wurden und in denen man festgestellt hat, dass die Schnelltests zwischen 40 und 60 Prozent der tatsächlichen Infektionen übersehen haben.
Warum das so ist und warum wir das erst jetzt so langsam bemerken, dazu liefert Prof. Drosten im oben verlinkten Podcast einige Denkansätze, auf die ich hier verweisen möchte.
Es besteht speziell bei den Antigentesten eine Lücke in der Frühphase der Sensitivität. Wir können uns das natürlich vorstellen, wie das mechanistisch funktioniert. Das Virus repliziert in der Schleimhaut. Diese Schleimhautzellen, die leben, und das Virus repliziert da drin und wird ausgeschieden von diesen lebenden Schleimhautzellen. Irgendwann sterben die Schleimhautzellen. Dann sind diese toten Schleimhautzellen voller Nukleokapsid-Antigen von dem Virus. Und dieses Nukleokapsid-Antigen, das liegt in diesen jetzt gestorbenen Schleimhautzellen im Überschuss vor. Wenn wir einen Abstrich machen, dann landen diese an der Oberfläche befindlichen toten Zellen voller Virus-Antigen an dem Abstrichtupfer vom Antigentest und werden dort getestet. Und das ist es, worauf wir eigentlich testen. Wir testen auf tote Zellen mit einem Überschuss von rumliegendem Virus-Antigen. Während schon zwei, drei Tage vorher die noch lebenden, frisch infizierten Zellen massenweise lebendes Virus rauspumpen, infektiöses Virus. Das passiert einfach vorher. In dieser Phase wird also das Antigen, das eigentlich ein Bauprotein des Virus darstellt, auch in frisch infektiöse Viruspartikel verbaut und bleibt nicht in den Schleimhautzellen liegen.
Prof. Christian Drosten im NDR-Podcast vom 13. April 2021
Was sind die Folgen dieser Erkenntnisse
Deswegen eignen sich diese Schnelltests derzeit nicht zum Passporting (so bezeichnet man die Idee des Frei-Testens beispielsweise vor einem Restaurant-Besuch oder vor dem Betreten eines Gebäudes).
Man wird mit Antigen-Schnelltests in solchen Situationen zwar infizierte und gerade infektiöse Personen finden und damit sicherlich auch etwas mehr Sicherheit erzielen. Aber man wird viele infektiöse Personen eben nicht finden, weil die Tests zu Beginn der infektiösen Phase eben nicht anschlagen werden.
Das dürfte auch der Grund dafür sein, dass Modellversuche wie der in Tübingen oder der im Saarland gerade scheitern oder schon gescheitert sind.
Anmerkung: in der Hinsicht habe ich mich in früheren Artikeln übrigens getäuscht, auch ich habe Modelle wie das in Tübingen als Idee für Luxemburg empfohlen und lag damit falsch.
Für die Öffnung des Einzelhandels und der Terrassen hierzulande dürfte das hingegen kein allzu großes Problem darstellen, weil dazu eigentlich keine Schnelltests erforderlich sind. Denn hierzulande sorgt das Large-Scale-Testing auf Basis von PCR-Tests für eine niedrige Dunkelziffer, die solche Öffnungen bei überschaubarem Risiko erlaubt.
Aber für die Öffnung der Schulen ist es mit den aktuell vorgesehenen Maßnahmen ein großes Problem, auf das man eigentlich mit einem aktualisierten Konzept reagieren müsste (natürlich nur, wenn das dahinterstehende Konzept nicht die Durchseuchung der jüngeren Bevölkerung sein sollte).
Im Screening möglicher Cluster in den Schulen kommt es auf die Frequenz und auf die Reaktion auf positive Schnelltests an. Bei zwei Tests pro Woche lassen sich damit Cluster weitgehend verhindern, weil der Indexfall beim zweiten Test vermutlich erkannt wird, bevor die von ihm eventuell angesteckten Personen symptomatisch werden.
Bei nur einem Test pro Woche erfolgt die Reaktion viel zu spät, weil zu diesem Zeitpunkt auch die 2. Generation der Infizierten (also die vom Indexfall angesteckten) das Virus bereits weiterverbreiten konnte, wenn die Infektionskette erkannt wird.
Wir brauchen also mindestens zwei Schnelltests pro Woche. Und außerdem sollten wir uns Gedanken über die angebrachte Reaktion auf einen positiven Schnelltest machen, denn diese Reaktion muss umgehend erfolgen. Im Falle eines positiven Ergebnisses sollte man eigentlich die gesamte Klasse und alle Kontaktpersonen der Schüler und Lehrer als potentiell infiziert betrachten. Das wiederum bedeutet die sofortige Isolation und einen zeitnahen PCR-Test dieser Personen, bis ein negatives Ergebnis des PCR-Tests vorliegt. Auch ein solches Konzept kann ich derzeit nicht erkennen.
Ein kleines Beispiel dazu
Nehmen wir einmal an, wir hätten am kommenden Montag einen infizierten Schüler in einer Klasse, der gerade am Beginn seiner infektiösen Phase ist (das wäre dann der Indexfall). Und nehmen wir weiterhin an, dass jeder infizierte Schüler alle drei Tage zwei weitere Schüler und eine Person in seinem Familienkreis ansteckt (bei der B.1.1.7-Mutante könnte das eine eher optimistische Annahme sein).
Wenn wir nun am Montag alle Schüler mittels Antigen-Schnelltest testen würden, dann würde dieser Schnelltest die Infektion unseres Indexfalls nicht erkennen, dieser Schüler würde also zwei weitere Schüler und ein Mitglied seiner Familie infizieren.
Ein zweiter Schnelltest am Donnerstag würde die mittlerweile einige Tage zurückliegende Infektion unseres ersten infizierten Schülers vermutlich erkennen, der Rest der Klasse und die Kontaktpersonen würden isoliert und per PCR getestet werden. Da ein PCR-Test auch ganz frische Infektionen erkennt, würden die von diesem ersten Schüler angesteckten Mitschüler und Familienmitglieder in einer sehr frühen Phase erkannt werden und würden kaum weitere Menschen infizieren.
Wenn wir mit diesem zweiten Antigen-Schnelltest nun bis zum folgenden Montag warten, dann hätten wir zugelassen, dass sowohl die von unserem Indexfall infizierten Personen als auch der ursprünglich infizierte Schüler weitere Menschen angesteckt hätten. Unter den obigen Annahmen hätten wir in dieser zusätzlichen Zeit von Donnerstag bis Montag also mindestens 6 weitere infizierte Schüler und 3 weitere Infizierte Familienmitglieder (auch dies ist übrigens eine eher optimistische Annahme).
In diesem Beispiel sorgt also der Verzicht auf einen zweiten Schnelltest pro Woche dafür, dass sich aufgrund eines einzigen Indexfalles zusätzliche 9 Menschen infizieren. Erkennen Sie das Problem mit exponentiellen Steigerungen?
Fazit
Antigen-Schnelltests sind leider nicht so gut, wie wir uns das noch vor ein paar Monaten erhofft haben. Für die Maßnahmen in Luxemburg hat das allgemein keine allzu großen Auswirkungen, für das Schnelltest-Konzept allerdings schon.
Um Antigen-Schnelltests in Schulen vernünftig einsetzen zu können, bräuchte es eigentlich zwingend:
- Mindestens zwei Tests pro Woche
- Verpflichtende Tests (bzw. den Ausschluss vom Präsenzunterricht bei Ablehnung des Tests)
- Verpflichtende Isolation aller Kontaktpersonen und der gesamten Klasse nach einem positiven Schnelltest mit anschließender Frei-Testung mittels PCR-Test
- Testteams an den Schuleingängen, die die Testung vor Betreten des Gebäudes durchführen
Ein solches Konzept wäre wissenschaftlich gesehen sinnvoll. Allerdings würde es bei Wochen-Inzidenzen über 200 wohl auch sehr schnell dafür sorgen, dass die Schulen faktisch geschlossen wären. Das wiederum erscheint politisch nicht gewünscht.
Daher sehe ich im jetzigen Schnelltest-Konzept allenfalls die Vorspiegelung einer Illusion von Sicherheit. Sicherlich werden die Schnelltests den einen oder anderen positiven Fall entdecken, am grundsätzlichen Problem werden sie kaum etwas ändern.
Deswegen bleibe ich bei meiner Ansicht, dass hier die Durchseuchung der jüngeren Bevölkerung durch die Regierung bewusst in Kauf genommen wird und verweise daher an dieser Stelle noch einmal auf meinen Artikel Durchseuchung – Dummheit, Arroganz oder Vorsatz? vom 11. April 2021.
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