Corona

Nicht-Geimpfte werden ein paar Nachteile haben

Zuletzt aktualisiert am 21. Juni 2021 von Claus Nehring

Im Moment reden Medien und Politik fast nur über die Vorteile, die gegen Covid-19 geimpfte Menschen demnächst vermutlich haben werden. Das bringt mittlerweile sogar eingefleischte Impfgegner dazu, sich impfen zu lassen, damit’s mit dem Urlaub dann doch irgendwie klappt (was ja nicht so ganz neu ist, viele von uns lassen sich aus genau dem gleichen Grund schon seit Jahren gegen Krankheiten wie Gelbfieber oder Hepatitis impfen).

Das ist grundsätzlich recht nützlich, weil uns jeder zusätzlich geimpfte Mensch dem Ziel der Herden-Immunität näherbringt. Aber trotzdem sehen wir in Ländern mit hoher Impfquote (wie Israel, den USA oder Großbritannien) ziemlich viele Menschen, die ganz offenbar mit ihrer Impfverweigerung oder ihrer Trödelei mutwillig dieses Ziel in Frage stellen wollen.

Das Wörtchen „wollen“ ist hier ziemlich wichtig. Wenn ich in diesem Artikel also von Impf-Verweigerern rede, dann sind damit diejenigen gemeint, die sich auf Basis von Halbwissen nicht impfen lassen wollen und keinesfalls die, die das aufgrund medizinischer Probleme nicht können oder bisher noch kein Impfangebot bekommen haben.

Die Impfgegnerinnen, Impfgegner und Verschwörungs-Gläubigen haben uns eine Fülle an obskuren Folgen der Impfung versprochen und angedroht, von einem schnellen Tod über Unfruchtbarkeit bis hin zum Verlust des freien Willens durch einen bei der Impfung eingesetzten Chip. Eingetreten davon ist nichts, die Schwurbler(innen) schwurbeln trotzdem munter weiter.

Deswegen möchte ich in diesem Artikel ein wenig auf die möglichen Folgen einer Impf-Verweigerung eingehen und Ihnen gleichzeitig ein paar Argumente zugunsten einer Impfung (und zwar egal mit welchem der zugelassenen Impfstoffe) an die Hand geben.

Der medizinische Aspekt

Es gibt viele Menschen, die sich aus verschiedenen Gründen nicht impfen lassen wollen. Teilweise sind die Begründungen eher abenteuerlich und entstammen dem Bereich der Verschwörungs-Märchen („das Virus gibt’s ja gar nicht“, „Corona ist nicht schlimmer als die Grippe“ oder ähnliches), teilweise liegt es eher an allgemeinen Bedenken bezüglich der Sicherheit der Impfstoffe, manche möchten unbedingt einen bestimmten Impfstoff und lehnen jede andere Impfung ab und wieder andere haben bereits eine Corona-Infektion überstanden und fühlen sich auch ohne ergänzende Impfung hinreichend geschützt.

Impf-Verweigerer leben gefährlicher

Sicherlich gibt es Fälle, in denen eine Impfung aus medizinischen Gründen problematisch sein könnte. Aber die üblichen Schwurbler-Argumente (genmanipuliert, unbekannte Langzeitfolgen usw.) basieren alle nicht auf irgendwelchen medizinischen Fakten, sondern auf wilden Fantasien. Eine Impf-Verweigerung aus derlei Gründen birgt (wie übrigens auch die Fälschung von Impfausweisen oder Testnachweisen) hauptsächlich Gefahren für den Betroffenen selbst.

Denn letztlich sieht es derzeit so aus, dass es für die allermeisten von uns nur die Wahl zwischen Impfung und einer natürlichen Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus in den nächsten 18 Monaten geben dürfte. Eine Entscheidung gegen die Impfung bedeutet also eine Entscheidung für eine Infektion.

Dieses Virus wird endemisch werden, das wird nicht weggehen. Wer sich jetzt aktiv dagegen entscheidet, sich impfen zu lassen, der wird sich unweigerlich infizieren.

Christian Drosten im NDR-Podcast vom 11. Mai 2021

In den allermeisten Fällen dürfte diese Entscheidung für eine natürliche Infektion auch kein allzu großes Problem für den Betroffenen oder die Betroffene darstellen. Aber er oder sie könnten eben auch Pech haben und zu den paar Personen gehören, die sich dann unversehens am Beatmungsgerät oder in der Leichenhalle wiederfinden (die Chancen dafür stehen übrigens bei rund 3 bzw. 1 Prozent).

Für die weniger mathematikaffinen Menschen kann man’s auch einfacher ausdrücken, von 100 Infizierten landen drei an der Beatmungsmaschine und einer stirbt. Aber solche Zahlen sind für die meisten Schwurbler natürlich völlig irrelevant und an den Haaren herbeigezogen.

Aber sehen wir’s positiv und nehmen einfach mal an, dass die betroffene Person trotz Verzichts auf eine Impfung zu den 99 Prozent der Menschen gehört, die die Covid-19-Erkrankung überleben und darüber hinaus zu den glücklichen 70 oder 80 Prozent ohne Langzeitfolgen dieser Erkrankung.

In diesem Fall würde diese Person natürlich eine Immunität aufgebaut haben und könnte wieder recht beruhigt in die Zukunft schauen. Aber leider immer noch nicht so hundertprozentig beruhigt, denn…

Die Impfung nach überstandener Infektion

Die Mehrzahl der bisher bestätigten Infektionen stammt aus der Zeit vor dem massiven Auftreten der sich derzeit ausbreitenden Mutanten. Wir wissen, dass bereits einmal infizierte Menschen eine Immunität aufbauen und dass diese auch über mindestens acht Monate anhält. Erste Studienergebnisse deuten aber darauf hin, dass diese Immunität nur begrenzt vor einer Infektion mit den aktuellen Mutanten (besonders B.1.351 bzw. Beta und B.1.617.2 bzw. Delta) schützt.

Das Robert-Koch-Institut geht in seinen FAQ davon aus, dass eine einmalige Impfung als Booster auch bei bereits von Covid-19 genesenen Personen eine erheblich bessere Immunantwort auslöst. Der zusätzliche Schutz durch die Impfung wird für alle verfügbaren Impfstoffe als gleichwertig angesehen. Eine zweite Impfdosis verbessert den Schutz nur noch marginal, stellt aber andererseits auch kein Risiko dar. Das gilt unabhängig davon, wie lange die Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus zurückliegt.

Gleichzeitig empfiehlt die Ständige Impfkommission in Deutschland (STIKO), nach einer laborbestätigten Infektion (PCR-Test) eine Wartezeit von sechs bis acht Monaten bis zur Impfung.

Sowohl die Empfehlung der einmaligen Impfdosis als auch die Wartezeit zwischen Infektion und Impfung hat also nichts mit Wirksamkeit oder eventuellen Gefahren der Impfung zu tun, sondern liegt darin begründet, dass nach wie vor ein Impfstoffmangel herrscht. Von einer Covid-19-Erkrankung genesene Menschen verfügen schon über eine Grund-Immunität, durch die Wartezeit und das Einsparen einer Dosis stehen also mehr Impfstoffe für bisher noch gar nicht geschützte Personen zur Verfügung.

Eine Impfung ist also auch nach einer bereits überstandenen Infektion durchaus empfehlenswert, denn sie verstärkt den Immunschutz noch einmal erheblich und vermindert auch die Infektiösität in hohem Maße (das gilt für alle derzeit in der EU zugelassenen Impfstoffe).

Das Cherry Picking bei den Impfstoffen

Kaum jemand hätte im Sommer letzten Jahres damit gerechnet, dass die Forschung es tatsächlich hinbekommen würde, bis Ende des Jahres richtig gute Impfstoffe zu entwickeln. Aber die Wissenschaft hat’s geschafft, und jetzt haben wir tatsächlich vier zuverlässige, effiziente und sichere Impfstoffe zur Verfügung (mit dem kurz vor der Zulassung stehenden Impfstoff von Novavax werden es demnächst sogar fünf sein).

Alle zugelassenen Impfstoffe schützen zu nahezu 100 Prozent vor schweren Verläufen einer Covid-19-Erkrankung, alle reduzieren die Infektiösität erheblich, alle funktionieren auch ziemlich gut gegen die Mutanten und alle sind sicher. Die Empfehlungen der EMA und der zuständigen Impfkommissionen geben Empfehlungen für die Vergabe und an diese Empfehlungen kann man sich recht bedenkenlos halten (nein, liebe Schwurbler, die wollen uns nicht alle umbringen!).

Quelle: University of California

Und dann fällt uns nichts Besseres ein, als in den Medien und sozialen Netzwerken möglichst jede einzelne kleine und nicht einmal begutachtete Studie zur neuen Sensation hochzustilisieren und den Menschen durch widersprüchliche Informationen das Vertrauen in diese Impfstoffe wieder zu nehmen.

Als Resultat dieser völlig idiotischen Herangehensweise sehen wir uns jetzt damit konfrontiert, dass viele Patienten sich nicht mehr impfen lassen möchten, wenn sie nicht den von ihnen bevorzugten Impfstoff bekommen. Und dabei übersehen, dass die Risiken einer Covid-19-Erkrankung die Risiken einer seltenen Impf-Nebenwirkung um ein Vielfaches übersteigen (das gilt auch für den von vielen Menschen abgelehnten AstraZeneca-Impfstoff, wie Sie beispielsweise hier bei der Pharmazeutischen Zeitung nachlesen können).

Impfstoffe und die aktuellen Mutanten

Die Wirksamkeit der Impfstoffe gegen die aktuell kursierenden Mutanten ist Gegenstand vieler Spekulationen, weil noch nicht allzu viele Studienergebnisse vorliegen und weil diese wenigen Ergebnisse auch noch gerne einmal falsch interpretiert werden. Auf den Seiten des Robert-Koch-Instituts finden sich die Informationen nach Impfstoffen sortiert recht übersichtlich für die mRNA-Impfstoffe von BioNTech/Pfizer und Moderna, für den AstraZeneca-Impfstoff und für den Impfstoff von Janssen.

Auch aus dem nachfolgenden Schaubild lässt sich gut ablesen, welcher Impfstoff gegen welche Mutante wie wirkungsvoll ist (die Angabe der Wirksamkeit bezieht sich auf symptomatische Infektionen, fehlende Balken bedeuten, dass keine Studien vorliegen, der Moderna-Impfstoff dürfte entspricht ungefähr den Werten von Pfizer entsprechen). Besonders interessant ist die hohe Wirksamkeit des offenbar zu Unrecht verschmähten AstraZeneca-Impfstoffes gegen die Mutante B.1.617.2 bzw. Delta, die ja auch in Luxemburg gerade explosiv zunimmt.

Quelle: @Boghuma auf Twitter

Der epidemiologische Aspekt

Wir haben oben gesehen, dass die Impfung nicht nur das Risiko für einen schweren Verlauf auf annähernd Null senkt, sondern dass auch Infektionen mit mildem Verlauf ziemlich zuverlässigu verhindert werden. Und es kommt sogar noch besser! Denn nach aktueller Studienlage reduziert die Covid-Impfung auch die Infektiösität ganz erheblich (je nach Studie kommt man da auf eine Reduzierung von 75 bis über 90 Prozent).

Quelle: University of California

Das heißt im Prinzip nichts Anderes, als dass vollständig geimpfte Menschen (also ab ungefähr 10–14 Tagen nach der 2. Impfdosis bei BioNTech, Moderna und AstraZeneca) sich vermutlich weder infizieren noch andere Menschen anstecken werden. Wir wissen zwar noch nicht, wie lange diese klinische Immunität anhalten wird, es dürfte sich aber um wenigstens 6 Monate handeln. Weitere Informationen und Erklärungen zum Thema gibt es beispielsweise hier bei der BBC und im folgenden Thread auf Twitter:

In den nächsten paar Monaten dürften vollständig geimpfte Menschen also für das Infektions-Geschehen keine größere Rolle mehr spielen.

Anmerkung: Übrigens scheinen die Impfstoffe von BioNTech/Pfizer und AstraZeneca gegen die (vormals „indische“) Mutante B.1.617.2 bzw. Delta ziemlich gut zu funktionieren. Das ist deswegen eine richtig gute Nachricht, weil sich diese Delta-Mutante aufgrund ihrer höheren Infektiösität in den nächsten paar Wochen zur vorherrschenden Mutante in den meisten europäischen Ländern entwickeln dürfte.

Die Rolle ungeimpfter Menschen

Das Infektions-Geschehen wird in den nächsten Monaten daher weitgehend von ungeimpften Menschen bestimmt werden. Zwar sinkt auch deren Ansteckungs-Risiko mit jedem einzelnen Geimpften weiter ab (weil diese Geimpften das Virus eben nur noch in Ausnahmefällen weitergeben), aber es sind ja leider noch genügend ungeimpfte potentielle Überträger übrig.

Und das betrifft eine ganze Menge Menschen. Denn wir haben im Moment in den europäischen Ländern so um die 20 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft. Das heißt also im Umkehrschluss, dass um die 80 Prozent der Bevölkerung eben keinen ausreichenden Immunitäts-Schutz haben und sich nach wie vor infizieren und andere anstecken können.

Das Problem zu schneller Lockerungen

Falls die Politik jetzt schnelle Lockerungen (gerade für Innenräume) beschließt, dann könnte das deswegen zu einem ziemlichen Problem werden.

Luxemburg macht das gerade vor: nachdem wir die Schulen viel zu früh geöffnet und damit die schnelle Verbreitung der aktuell besorgniserregenden Mutanten unterstützt haben, sind wir auch jetzt bei den Lockerungen wieder ganz vorne mit dabei. Die Sekundarschulen sind seit Beginn letzter Woche wieder vollständig geöffnet (ohne A/B-Trennung), die Innenräume von Cafés und Restaurants sind geöffnet, ab Beginn nächster Woche entfällt teilweise die Testpflicht beim Betreten von Innenräumen und Sperrstunde und Ausgangssperre entfallen.

Ob es in der jetzigen Situation mit noch sehr vielen teil- und nicht-immunen Menschen (nach wie vor knapp 80 Prozent der Bevölkerung) und einer sich schnell ausbreitenden neuen hochinfektiösen Mutante (B.1.617.2 bzw. Delta) eine besonders tolle Idee ist, schnell und umfassend zu lockern, sei hier einmal dahingestellt.

Zumindest sind viele besonders gefährdete Menschen mittlerweile komplett geschützt und auch die 40 Prozent der Bevölkerung, die die erste Impfdosis erhalten haben, dürften ein wenig zur Beruhigung der Lage beitragen. Andererseits sind die besonders im sozialen Leben stehenden jüngeren Bevölkerungs-Gruppen bisher größtenteils nicht geimpft und dürften daher in den nächsten Wochen zu einem verstärkten Infektions-Geschehen beitragen (wie stark, dürfte vom Willen der Menschen zum Einhalten der Restregeln abhängen).

Das Resultat der Lockerungen lässt sich derzeit nur schwer vorhersagen. Die Klinikbelegung dürfte auf einem recht niedrigen Niveau verbleiben, wir werden allerdings vermutlich eine ansteigende Zahl von Neu-Infektionen und ein verändertes Bild in den Kliniken sehen. Momentan ist auffällig, dass der Altersdurchschnitt der Intensiv-Patienten abnimmt, in Deutschland wird zudem sichtbar, dass die aktuellen Mutanten eine deutlich höhere Sterberate der ECMO-Patienten mit sich zu bringen scheinen (siehe auch unten auf Twitter).

Ich persönlich hätte es vorgezogen, mit den Lockerungen in den Innenräumen (Veranstaltungen, Restaurants, Cafés) noch einige Wochen länger zu warten und die Schulen zumindest im A/B-System zu belassen (noch besser wäre natürlich Home-Schooling, das scheint aber politisch nicht durchsetzbar zu sein, selbst wenn deswegen Menschen sterben müssen).

Mehr zum Thema der politisch offenbar geförderten Durchseuchung der jüngeren Bevölkerung finden Sie bei Interesse auch in den Artikeln Das Infektions-Geschehen im Hintergrund wird gerade zum Problem und Durchseuchung – Dummheit, Arroganz oder Vorsatz? hier im Blog.

Impf-Verweigerer und die Herdenimmunität

Ein anderes gerne in den Medien thematisiertes Problem ist die Frage, ob die Impf-Verweigerer das Erreichen der Herdenimmunität infrage stellen. Die Antwort darauf ist relativ einfach, denn dieses SARS-CoV-2-Virus wird nicht wieder verschwinden, es wird endemisch werden. Und das wiederum bedeutet, dass sich (wie oben schon einmal gesagt) nahezu alle Nicht-Geimpften irgendwann in den nächsten 18 Monaten anstecken werden.

Und auch in diesem Fall werden diese Mensch eine Immunität gegen das Virus aufbauen und damit zum Erreichen der Herdenimmunität beitragen. Leider ist die durch die Infektion aufgebaute Immunität nicht ganz so toll wie die nach der Impfung, weil der Forschung hier wirklich ganz tolle Impfstoffe geglückt sind.

Für den geimpften Teil der Bevölkerung ist das nicht besonders tragisch, denn geimpfte Menschen werden ja durch die Impfung ziemlich umfänglich geschützt. Etwas tragischer könnte es für die betroffenen Personen selbst sein, denn die Risiken durch eine SARS-CoV-2-Infektion sind nun einmal bedeutend höher als die durch die Covid-19-Impfung. Im Englischen gibt es dazu den Spruch „If you don’t like the cure, try the disease”.

Eine andere Wahl wird es nicht geben, denn mit zunehmendem Impf-Fortschritt werden die Eindämmungs-Maßnahmen immer weiter zurückgenommen werden. Sobald jeder Mensch die Möglichkeit zur Impfung bekommen hat (und das wird nicht mehr sehr lange dauern), wird es keine Eindämmungs-Maßnahmen mehr geben müssen. Und dann wird das Infektions-Risiko für nichtgeimpfte Menschen erheblich ansteigen.

Und das wiederum bedeutet, dass jeder Mensch auf dieser Erde in den nächsten Jahren eine Immunität gegenüber diesem SARS-CoV-2-Virus aufbauen und damit zur Herdenimmunität beitragen wird. Entweder halt mit relativ überschaubaren Folgen durch eine Impfung oder mit möglicherweise gravierenderen Folgen durch eine natürliche Infektion.

Moralische und juristische Aspekte

Impfverweiger(innen) argumentieren gerne einmal mit ihrer „individuellen Freiheit“, die sie durch eine Impfung (oder auch durch das Maskentragen) in Frage gestellt sehen. Dabei vergessen sie allerdings ebenso gerne, dass diese laut proklamierten „Freiheitsrechte“ nicht nur für sie selbst, sondern für jeden Menschen gelten.

Selbstverständlich hat jeder von uns das Recht, eine Covid-Impfung (aus welchen Gründen auch immer) abzulehnen, auch wenn er oder sie sich dabei selbst in Gefahr bringt (s.o.). Aber genauso haben alle anderen das Recht auf eine freie Entscheidung, ob oder ob nicht sie sich durch ungeimpfte Personen in Gefahr bringen lassen möchten.

Jeder Betreiber eines öffentlich zugänglichen Raumes (sei das nun ein Hotel, ein Restaurant oder ein Flugzeug) und jeder Veranstalter hat die Verpflichtung, seine Gäste vor Gefahren zu schützen. Und genau deswegen werden sich viele dieser Betreiber und Veranstalter dafür entscheiden, ungeimpfte (bzw. nicht-getestete und/oder nicht-genesene Menschen) den Einlass zu verweigern.

Auch dies ist ein „Freiheitsrecht“, und zwar eines, dass moralisch gesehen unstrittig sein dürfte. Denn, das hat schon Immanuel Kant erkannt, die Freiheit des Einzelnen (auf die sich Impfgegner so gerne berufen) endet dort, wo die Freiheit des Anderen (die Impfgegner gerne einmal ignorieren) beginnt. Aber wie sieht die Situation eigentlich rechtlich aus?

Die rechtliche Seite

Zur Beantwortung dieser Frage können wir auf die Europäische Menschenrechts-Konvention (EMRK) und deren Auslegung durch diverse Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg zurückgreifen. Diese Europäische Menschenrechts-Konvention ist seit dem 3. September 1953 in Kraft (übrigens durch die Ratifizierung durch Luxemburg als zehntem Signatar-Staat), sie wurde mittlerweile von 47 Staaten ratifiziert. Die EMRK ist (genau wie die Entscheidungen des EGMR) also keine Sammlung von Empfehlungen, sondern für die Signatar-Staaten rechtlich bindend und Teil ihrer jeweiligen Verfassung.

Der Europäische Gerichtshofs für Menschenrechte hat schon lange klargestellt, dass eine Impfpflicht prinzipiell legitim ist, wenn durch sie die Ausbreitung einer ansteckenden Krankheit verhindert werden kann (vgl. beispielsweise Solomakhin v. Ukraine, 15. März 2012).

In einem Urteil vom 8. April 2021 (Vavřička and Others v. the Czech Republic) hat der EGMR erneut die grundsätzliche Zulässigkeit einer Impfpflicht bestätigt. Darüber hinaus stellt der Gerichtshof mit diesem Urteil klar, dass Ungeimpfte andere Menschen gefährden können und dass deswegen der Ausschluss ungeimpfter Personen von Tätigkeiten, bei denen sie andere Menschen gefährden könnten, erlaubt ist. Im vorliegenden Fall sahen die Richter den Ausschluss von ungeimpften Kindern aus dem Kindergarten als rechtmäßig an, weil dieser Ausschluss die direkte Folge der Entscheidung zur Impfverweigerung durch die Eltern war.

Der Gerichtshof begründet das mit Solidarität. Er verneint die Frage, ob Menschen ein hohes Risiko durch eine Erkrankung eingehen müssen, weil sich andere Menschen weigern, ein kleines Risiko durch die Impfung einzugehen. Und er unterstreicht ganz entschieden die Wichtigkeit der Solidargemeinschaft, in der mit Rechten eben auch Pflichten und eine bestimmte Verantwortung für andere Menschen einhergehen.

Die Implikationen aus diesem Urteil sind recht weitreichend. Wenn eine staatlich angeordnete Impfpflicht rechtmäßig ist und wenn ungeimpfte Menschen aufgrund der von ihnen ausgehenden Gefährdung anderer von manchen Lebensbereichen ausgeschlossen werden dürfen, dann dürfte das analog dazu auch für private Unternehmen gelten.

Selbstverständlich hat jeder Mensch die Freiheit, eine Impfung, das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes oder einen Corona-Test zu verweigern. Aber alle anderen haben eben auch die Freiheit, darin eine Gefährdung zu sehen. Deswegen wird das Leben für Impf-, Masken- oder Test-Verweigerer in Zukunft härter werden.

Jeder Unternehmer kann selbst entscheiden wen er einstellt, befördert oder einlässt und niemand muss es hinnehmen, dass in seinem Verantwortungsbereich andere Menschen gefährdet werden. Im Gegenteil, eine Verpflichtung zur Einstellung, Beförderung oder Einlass wäre eine unzulässige Einschränkung der Erwerbsfreiheit.

Rechtlich gesehen ist es völlig in Ordnung, nicht geimpfte, getestete oder genesene Personen (derzeit gerne unter dem Begriff 3G zusammengefasst) bei der Arbeitssuche oder beim Zutritt zu Räumlichkeiten jedweder Art auszuschließen. Und nach dem oben genannten Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte dürfte das auch für besonders sensible Bereiche wie Kindergärten oder Schulen gelten.

Das bedeutet nun übrigens keineswegs, dass künftig der Besuch von Kindergärten oder Schulen nur noch für Geimpfte, Genesene oder Getestete möglich wäre oder dass ich für eine solche Lösung plädieren würde. Aber es bedeutet, dass eine solche Einschränkung rechtlich haltbar wäre.

Der Gerichtshof erkennt in seinem Urteil ausdrücklich die Wichtigkeit des Kindergartenbesuchs für die Persönlichkeits-Entwicklung des Kindes an, bewertet aber die Gefährdung anderer Menschen durch ein ungeimpftes Kind höher als das Recht des Kindes auf den Besuch des Kindergartens. Und er beantwortet damit auch gleich eine ziemlich wichtige Frage:

Der Schutz des Lebens und der Gesundheit hat Vorrang, auch wenn dafür temporär das Grundrecht auf Bildung oder die Meinungsfreiheit eingeschränkt werden müssen. Oder, einfacher ausgedrückt, Schule ist nicht wichtiger als Gesundheit. Über diese eigentlich recht einfache Aussage sollten diverse Befürworter möglichst rascher Schulöffnungen in Pandemie-Zeiten vielleicht noch einmal eingehend nachdenken.

Fazit

Alles in allem wird es darauf hinauslaufen, dass ungeimpfte Menschen neben den Risiken durch eine Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus auch eine gewisse soziale Ausgrenzung erleben werden.

Denn die schöne Medaille namens Freiheit hat zwei Seiten. Die eine ist sicherlich das Recht der Einen auf die Verweigerung der Impfung, die zweite ist das Recht der Anderen auf Schutz gegen potentielle Virenverbreiter. Deswegen könnte es ungeimpften Menschen passieren, dass sie in bestimmten Ländern, Flugzeugen, Geschäften, Kinos, Restaurants usw. auf einmal nicht mehr willkommen sind.

Oder dass Sie, im Gegensatz zu vollständig geimpften Menschen, auch weiterhin an bestimmten Orten die so sehr als persönliche Einschränkung stigmatisierte Maske tragen müssen. Denn auch das gehört zur Freiheit, übrigens sogar im (nach eigenem Maßstab) „Mutterland der Freiheit“.

The rule is now simple: get vaccinated or wear a mask until you do.

The choice is yours.

US-Präsident Joe Biden auf Twitter am 13. Mai 2021

Das Fazit dieses Artikels besteht deswegen eigentlich nur aus ein paar Lehren daraus:

  1. Lassen Sie sich impfen, sobald Sie die Möglichkeit dazu bekommen. Der Impfstoff ist dabei unerheblich, alle derzeit zugelassenen Impfstoffe sind exzellent und haben ihre jeweiligen Stärken und Schwächen.
  2. Falls Sie sich nicht impfen lassen wollen, obwohl Sie es könnten, dann werden Sie in Zukunft wohl ein paar eklatante Nachteile im Alltag in Kauf nehmen müssen.
  3. Sollten Sie der Meinung sein, dass Sie mit einer Impf-Verweigerung der Gesellschaft, der Politik oder der Pharma-Industrie schaden, so täuschen Sie sich. Sie werden sich irgendwann infizieren und dann zum Erreichen der Herdenimmunität beitragen. Die einzige Person, der Sie damit Schaden zufügen, sind Sie selbst.
  4. Falls Sie noch nicht geimpft sind, sollten Sie Innenräume vorzugsweise meiden und sich weiterhin an die Regeln halten. Denn als Ungeimpfter nehmen Sie weiterhin ein paar ziemlich hohe Risiken in Kauf.
  5. Wenn Sie sich bisher nicht impfen lassen können, dann achten Sie wenigstens auf einen ordnungsgemäß durchgeführten Test (am besten PCR), bevor Sie einen Innenraum betreten und beteiligen Sie sich nicht am in Luxemburg mittlerweile allgegenwärtigen Betrug mit Schnelltests (das Tageblatt berichtete beispielsweise hier).

Und da wären jetzt eigentlich die Regierungen gefordert. Anstelle von Öffnungs-Orgien sollten jetzt durchdachte Konzepte zum Schutz der Bevölkerung (und dabei besonders der jüngeren) treten. Denn die vielfach (so auch in Luxemburg) gerne als Alibi für Pandemie-Bekämpfung vorgesehenen Antigen-Schnelltests reichen nicht aus und laden zum Betrug ein. Und das ist den verschiedenen Regierungen auch deutlich bewusst.

Das Mindeste wäre es jetzt, den jungen Menschen, denen noch kein Impf-Angebot gemacht werden konnte, wenigstens genügend Test-Kapazitäten zur Verfügung zu stellen, damit sie in zumindest halbwegs geschützter Form am wieder anlaufenden sozialen Leben teilhaben können. Denn es wird sich nach all dem Geplänkel der letzten Wochen kaum verhindern lassen, dass sie daran teilhaben wollen und werden.

Also, wenn wir schon unbedingt alles öffnen wollen, lasst uns den jungen Menschen den Schutz angedeihen, den sie verdienen. Lasst uns ihnen die Möglichkeit geben sich vernünftig, sicher und zu jedem beliebigen Zeitpunkt testen zu lassen. Und zwar nicht per Selbst-Test, sondern zertifiziert und per PCR.

Weil wir damit nämlich trotz der gerade überhandnehmenden Öffnungen immer noch eine gewisse Basis-Sicherheit bekommen könnten. Die jetzigen Systeme sind, hauptsächlich aufgrund der sich gerade explosiv entwickelnden Delta-Mutante, zum Scheitern verurteilt.

In eigener Sache: Wenn Ihnen dieser Artikel gefällt, dann können Sie mir das Schreiben und Recherchieren gerne mit einem Kaffee oder einer kleinen Spende versüßen. Eine Möglichkeit dazu finden Sie auf der Seite Buy me a coffee.

Wie denken Sie darüber? Haben Sie Anmerkungen oder andere Ideen zu diesem Thema? Oder sehen Sie es ganz anders? Schreiben Sie es mir in den Kommentaren.

Claus Nehring

Ich bin freiberuflicher Autor, Journalist und Texter (aka "Schreiberling") aus Luxemburg. Als Informatiker und Statistiker habe ich jahrelange Erfahrung in der Visualisierung und Modellierung großer Datenmengen. Ich beschäftige mich seit mehr als 30 Jahren mit Infektionskrankheiten und publiziere Artikel zu diesem Thema, aus verschiedenen anderen Wissenschafts-Bereichen und aus dem Bereich Internet & Gesellschaft,

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