Über Impfdurchbrüche und Booster-Impfungen
Zuletzt aktualisiert am 24. Oktober 2021 von Claus Nehring
In den letzten Tagen sehe ich vermehrt Schlagzeilen wie diese von N-TV und lese dazu Kommentare, die daraus ableiten möchten, dass die Covid-19-Impfung nicht vor schweren Verläufen schützt. Diese Kommentare sprechen allerdings hauptsächlich dafür, dass sich die jeweiligen Kommentatoren weder die Artikel durchgelesen haben noch sich in irgendeiner Form mit dem Thema beschäftigt haben.
Ich möchte daher in diesem Artikel für Sie einmal kurz einordnen, was es mit diesen Impfdurchbrüchen auf sich hat und in welchen Fällen eine Booster-Impfung sinnvoll ist. Dazu möchte ich im Folgenden kurz auf die Funktionsweise des Immunsystems eingehen, bevor ich danach auf die Situation in den Kliniken und auf die Personengruppen eingehe, die von einer Booster-Impfung am meisten profitieren können.
Die Immunantwort
Es mag Sie vielleicht überraschen, aber bei einem respiratorischen Virus wie SARS-CoV-2 kann weder eine Impfung noch eine überstandene Infektion vor einer Neu-Infektion mit demselben Virus schützen. Und das hat nichts mit der Impfung zu tun, sondern hat eine ziemlich einfach zu verstehende biologische Ursache.
Beim erstmaligen Kontakt mit einem Virus bildet unser Immunsystem sogenannte Antikörper, um das Virus bekämpfen zu können (man nennt das „humorale Immunantwort“). Das sind mehrere Arten von Proteinen (die sogenannten Immunglobuline), uns interessieren dabei in diesem Zusammenhang hauptsächlich die der Klassen A (IgA) und G (IgG).
IgA-Antikörper finden sich auf den Schleimhäuten. Diese Antikörper können das Virus schon im Rachenraum bekämpfen und dadurch die Infektiösität mindern. Dummerwiese bleiben uns diese Antikörper nur ein paar Wochen erhalten (die Halbwertszeit von IgA’s liegt bei gerade einmal 6 Tagen).
IgG-Antikörper finden sich im Blutkreislauf und sorgen dafür, dass ein in den Organismus eingedrungenes Virus bekämpft werden kann. Diese Antikörper bleiben für einige Monate im Körper aktiv und schützen uns vor schweren Verläufen (ihre Halbwertszeit liegt bei 21 bis 23 Tagen).
Unser Immunschutz nimmt daher nach dem ersten Kontakt mit einem Virus kontinuierlich ab (was er auch muss, weil wir nur eine begrenzte Anzahl von Antikörpern im Körper haben können). Und deswegen ist die Natur auf die Idee mit dem sogenannten Immungedächtnis gekommen.
Die oben beschriebenen Antikörper werden von sogenannten B- und T-Zellen gebildet (das nennt man „zelluläre Immunantwort“). Ein Teil dieser Zellen wird in sogenannte Gedächtniszellen umgewandelt und verbleibt langfristig im Körper. Diese B- und T-Gedächtniszellen bilden das Immungedächtnis, durch das sich unser Immunsystem einen einmal erkannten Erreger „merken“ kann. Das wiederum sorgt dafür, dass wir bei erneutem Kontakt mit einem bereits bekannten Erreger sehr schnell neue Antikörper bilden (innerhalb von einigen Tagen anstelle von einigen Wochen beim Erstkontakt).
Daraus ergeben sich nun ein paar ziemlich einfache (und nicht sonderlich überraschende) Schlüsse:
- Unser Schutz vor einer Infektion mit einem Virus, mit dem wir bereits einmal in Kontakt waren (durch Infektion oder Impfung), nimmt nach einigen Wochen ab (durch die Abnahme der IgA-Antikörper).
- Unser Schutz vor einer Ausbreitung des Virus im Körper (durch IgG-Antikörper) bleibt deutlich länger bestehen, nimmt aber im Laufe der Zeit ebenfalls ab.
- Im Falle einer Re-Infektion mit einem bereits bekannten Virus sorgt unser Immungedächtnis dafür, dass innerhalb einiger Tage erneut Antikörper aufgebaut werden. Das passiert zwar im Fall von SARS-CoV-2 nicht schnell genug, um uns vor einer erneuten Infektion zu schützen und es hindert uns auch nicht an der Weitergabe des Virus (weil sich gerade die Delta-Variante eben sehr schnell vermehrt). Aber es sorgt dafür, dass bei immunisierten Menschen kaum schwere Verläufe vorkommen, weil bis zum Vordringen des Virus vom Rachenraum in den restlichen Körper bereits wieder IgG-Antikörper gebildet wurden, die uns vor schlimmeren Folgen schützen.
- Eine geimpfte Person, die sich trotz Impfung mit dem SARS-CoV-2-Virus infiziert, ist weniger lange ansteckend. Das liegt ganz einfach daran, dass auch IgA-Antikörper innerhalb weniger Tage erneut gebildet werden und das Virus dann schon im Rachenraum erfolgreich bekämpfen können.
Wie lange hält der Immunschutz an?
Aus einer Studie wissen wir, dass die für einen Teil des Immungedächtnisses relevanten B-Gedächtnis-Zellen auch 11 Monate nach einer Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus noch im Körper nachweisbar sind (eine andere Studie der Universität Lübeck kommt auf mindestens 10 Monate). Und aus einer anderen Studie wissen wir, dass sich diese B-Gedächtnis-Zellen auch im Knochenmark niederlassen (das spricht für einen langanhaltenden Immunschutz, weil solche Zellen im Knochenmark jahrzehntelang überdauern können).
Diese zelluläre Immunantwort entsteht auch durch die Impfung gegen Covid-19. Und deswegen können wir heute mit einiger Berechtigung annehmen, dass eine Immunität gegen das SARS-CoV-2-Virus sehr lange bestehen bleibt. Belastbare Studienergebnisse über mehr als ungefähr 8 Monate gibt es für Geimpfte bisher allerdings noch nicht, da die entsprechenden Studien noch nicht lange genug laufen.
Das gilt zumindest für jüngere Menschen mit einem normal funktionierenden Immunsystem. Leider reagiert das Immunsystem mit zunehmendem Alter und im Falle einer Immundefizienz schwächer, deswegen bauen manche Menschen keine ausreichend starke Immunantwort auf. Wer davon betroffen sein könnte und deswegen eine Auffrischungs-Impfung benötigt, lesen Sie weiter unten in diesem Artikel.
Damit kennen wir jetzt also die Gründe dafür, warum sich auch Geimpfte und Genesene immer noch mit dem SARS-CoV-2-Virus infizieren können. Und wir wissen auch, warum bei Geimpften und Genesenen kaum noch schwere Verläufe vorkommen. Andererseits stellt sich damit auch die Frage, warum immer noch Geimpfte und Genesene auf den Intensiv-Stationen landen.
Anmerkung: Das hier war jetzt eine schnelle und recht oberflächliche Einführung in die Vorgänge im Immunsystem. Etwas genauer können Sie das bei Interesse im Artikel Ein paar Worte zu Impfung und Immunität hier im Blog nachlesen.
Geimpfte und Genesene auf den Intensiv-Stationen
Bei Schlagzeilen wie der oben gezeigten von N-TV geht leider ein wichtiger Punkt unter (zumindest dann, wenn man sich nicht die Mühe macht, den ganzen Artikel zu lesen). Und das ist die Information darüber, wie sich die Patienten auf den Intensiv-Stationen zusammensetzen. Denn diese Zusammensetzung ändert sich je nach Impfstatus erheblich.
Auf den deutschen Intensiv-Stationen finden sich nach Angaben der DIVI (das ist die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin) fast nur ungeimpfte oder nicht vollständig geimpfte Patienten. Bei diesen nicht immunisierten Patienten entspricht der Altersdurchschnitt ungefähr dem, was wir vom letzten Jahr (also vor Verfügbarkeit der Impfungen) kennen. Allerdings, auch das sei an dieser Stelle erwähnt, nimmt die Hospitalisierungs-Wahrscheinlichkeit für ungeimpfte Patienten zu, weil die Wahrscheinlichkeit eines schweren Verlaufs bei der Delta-Variante höher ist.
Bei der geimpften Minderheit der Intensiv-Patienten ergibt sich hingegen ein völlig anderes Bild. Hier finden wir in der Regel sehr viel ältere Patienten mit Vorerkrankungen, deren zweite Impfung schon weit zurückliegt (siehe beispielsweise hier im Ärzteblatt).
Da wir wissen, dass mit zunehmendem Alter auch das Immunsystem immer weniger schnell arbeitet und dass Menschen mit bestimmten Vorerkrankungen ein höheres Risiko für einen schwereren Verlauf einer Covid-19-Erkrankung haben, lässt sich damit zumindest ein sehr großer Teil (wenn nicht sogar alle) der immunisierten Patienten mit schweren Verläufen erklären.
Da wir aus Studien auch wissen, dass wohl zwischen 10 und 20 Prozent der Bevölkerung unter risikoerhöhenden Vorerkrankungen (Schwächungen des Immunsystems) leiden (eine Studie aus The Lancet schätzt den Bevölkerungs-Anteil sogar auf 22 Prozent) und dass der direkte Antikörper-Schutz nach einigen Monaten abnimmt, dürfte der Anteil der geimpften Patienten in den Intensiv-Stationen in Zukunft eher noch zunehmen (zumal auch ein immer größerer Anteil der Bevölkerung geimpft ist).
Allerdings ergibt sich daraus auch eine sehr gute Nachricht, die in all diesen Hiobs-Botschaften gerne einmal untergeht. Denn das bedeutet im Umkehrschluss ja auch, dass geimpfte Menschen mit einem normal funktionierenden Immunsystem (und auch die allermeisten Menschen mit einer leichten Immunschwäche) durch die Covid-19-Impfung sehr effektiv und lange anhaltend vor schweren Verläufen geschützt sind und im Falle einer Infektion kaum jemals auf einer Intensiv-Station landen werden.
Die Situation in Luxemburg
In Luxemburg stellt sich die Situation nach Angaben von Dr. Romain Nati, dem Generaldirektor des Centre Hospitalier de Luxembourg (CHL), übrigens sehr ähnlich dar. Seit dem 1. Juli waren dort unter 24 Intensiv-Patienten insgesamt 3 Geimpfte. Und auch hier zeigt sich das gleiche Bild, die geimpften Intensiv-Patienten sind im Durchschnitt älter als die ungeimpften und hatten im Regelfall risikosteigernde Vorerkrankungen.
Ungeimpfte Menschen tragen ein deutlich höheres Risiko
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch eine aktuelle französische Studie, in der die Daten von 22 Millionen Menschen über 50 Jahre zwischen dem 27. Dezember 2020 und dem 20. Juli 2021 untersucht wurden (die Studie bezieht sich auf die in Frankreich verwendeten Impfstoffe von BionTech/Pfizer, Moderna und AstraZeneca und dürfte die derzeit umfangreichste ihrer Art sein).
Die Wissenschaftler haben dabei ermittelt, dass Geimpfte zwei Wochen nach der zweiten Impfdosis ein um 90 Prozent niedrigeres Risiko einer Krankenhauseinlieferung oder eines tödlichen Krankheitsverlaufs hatten als Ungeimpfte. Und, wichtiger noch, die Studienergebnisse deuten darauf hin, dass der Schutz vor schweren Verläufen im Studienzeitraum von fünf Monaten nicht abgenommen hat. Die Studien-Ergebnisse entsprechen damit mehr oder weniger den Erkenntnissen aus ähnlichen Studien aus den USA, Großbritannien und Israel.
Die Werte dürften sich allerdings noch etwas verschlechtern, weil in dieser Studie die Delta-Variante noch nicht ausreichend berücksichtigt ist (die Variante ist in Frankreich erst ab Juni aufgetreten).
Eine sehr schöne aktuelle Zusammenfassung der Gründe dafür, warum sich wirklich jeder, der die Möglichkeit dazu hat, gegen Covid-19 impfen lassen sollte, findet sich übrigens bei Quarks:
Die Immunantwort nach einer überstandenen SARS-CoV-2-Infektion
Zu Beginn dieser Corona-Pandemie wussten wir noch nicht sonderlich über die Immunantwort nach einer überstandenen Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus. Erste Studien haben damals gezeigt, dass die Antikörper-Antwort nach 6 bis 8 Monaten nachzulassen beginnt. Deswegen hat man damals beschlossen, nach einer Infektion von einer Immunität von 6 Monaten auszugehen.
Diese Annahme hat sich bis heute gehalten, deswegen ist der Immunitäts-Nachweis für Genesene nur 6 Monate lang gültig (und nicht 12 Monate wie bei Geimpften). Nach Ablauf dieser 6-Monats-Frist muss sich ein Genesener impfen lassen, damit der Immunitäts-Nachweis erhalten bleibt.
Mittlerweile entbehrt diese Sechs-Monats-Regel einer wissenschaftlichen Grundlage, wir wissen aus Studien (siehe oben), dass die Immunität nach einer überstandenen Infektion für mehr als 1 Jahr anhält und dass dieser Schutz auch gegen Varianten wie Delta besteht.
Aber leider gilt das wohl nur für einen Teil der Infektionen, und zwar für die symptomatischen Verläufe. Ganz einfach deswegen, weil diese Studien auf PCR-positiven Infizierten beruhen, also auf Infizierten, die sich meist aufgrund von Symptomen haben testen lassen. Bei einem asymptomatischen Verlauf bemerkt der Infizierte seine Infektion nicht und lässt sich deswegen auch nicht unbedingt testen.
Es gibt einen Unterschied bei asymptomatischen Verläufen
Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass ein Zusammenhang zwischen der Schwere des Krankheits-Verlauf und der von der betroffenen Person aufgenommenen Menge an Viren besteht. In diesem Fall hätten viele Personen mit nachgewiesenen Antikörpern im Blut, bei denen nie Symptome der Erkrankung aufgetreten sind (und die sich deswegen auch nie per PCR haben testen lassen) eine niedrigere Virenlast als symptomatisch Erkrankte.
Nun bedeutet eine niedrigere aufgenommene Viren-Menge aber auch eine geringere Stimulanz des Immunsystems. Deswegen ist es nicht ganz unwahrscheinlich, dass eine asymptomatische Infektion auch einen geringeren Immunschutz zur Folge hat.
Wenn also eine Infektion erst nachträglich durch einen Antikörper-Test entdeckt wird und die betroffene Person ansonsten nichts von ihrer Erkrankung bemerkt hat, dann könnte das durchaus auf einen geringeren Immunschutz hindeuten.
Deswegen ist der vielfach geäußerte Vorschlag, auch Menschen mit nachgewiesenen Antikörpern im Blut aber ohne positiven PCR-Test einen Immunitäts-Nachweis auszustellen, nicht ganz ungefährlich. Die betroffene Person könnte sich dann nämlich durchaus auf einen Schutz verlassen, der möglicherweise gar nicht vorhanden ist.
Aus diesem Grunde ist im Falle einer symptomlosen Infektion auch bei nachgewiesenen Antikörpern eine Covid-19-Impfung anzuraten, um für einen umfassenden Immunschutz zu sorgen. Idealerweise sollte man sogar auch in solchen Fällen ganz normal (also mit beiden Dosen) impfen lassen und nicht allzu sehr auf den vorhandenen Immunschutz vertrauen.
Für wen die Booster-Impfung sinnvoll ist
Wir wissen also mittlerweile, dass der Impf-Schutz vor einer erneuten Infektion im Lauf der Zeit abnimmt, wohingegen der Schutz vor einem schweren Verlauf der Covid-19-Erkrankung über eine lange Zeit bestehen bleibt (die Gründe dafür finden Sie weiter oben).
Aus israelischen Auswertungen (dort können alle Geimpften egal welchen Alters eine Booster-Impfung bekommen) ist bekannt, dass eine Booster-Impfung bei Personen über 60 Jahren den Schutz vor einem schweren Verlauf einer Covid-19-Erkrankung noch einmal deutlich erhöht. In der Altersgruppe bis 60 Jahren mit normal arbeitendem Immunsystem erhöht eine solche Auffrischungs-Impfung zwar den Antikörper-Level noch einmal deutlich, der Schutz vor einem schweren Verlauf erhöht sich allerdings nur marginal (er ist in dieser Altersgruppe auch ohne Auffrischung sehr hoch).
Anmerkung: Leider lassen sich aus Studien immer nur durchschnittliche Werte entnehmen, aus denen man dann Empfehlungen für bestimmte Gruppen ableiten kann. Besser wäre es, wenn man die Immunität für jeden einzelnen Menschen genau bestimmen könnte. Das ist momentan aber nur mit sehr umfangreichen und zeitaufwändigen Verfahren zu machen. Antikörper-Tests sind dazu nicht ausreichend, weil sich mit Ihnen die Immunität nicht genau genug bestimmen lässt (mehr dazu finden Sie auch im Artikel Was sagen Antikörpertests eigentlich aus?). Die Forschung sucht derzeit nach Wegen, um diese Immunitäts-Bestimmung zu vereinfachen und sie damit so vielen Menschen wie möglich zur Verfügung stellen zu können.
Aber wir wissen aus Studien, dass die Nebenwirkungen der Auffrischungs-Impfung im Wesentlichen mit denen der ersten und zweiten Impfdosis übereinstimmen. Deswegen darf auch die Booster-Impfung als sicher betrachtet werden, daher wird die Auffrischungs-Impfung für verschiedene Personengruppen empfohlen.
Menschen über 60 Jahre
Aus dem aktuellen Forschungsstand ergibt sich, dass eine Auffrischungs-Impfung rund 6 Monate nach der zweiten Impfdosis für Personen über 60 Jahre in jedem Fall sinnvoll ist, weil sie den Schutz vor schweren Verläufen noch einmal maßgeblich erhöht.
Menschen mit geschwächtem Immunsystem
Die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA hat in einer Pressemitteilung vom 4. Oktober 2021 eine Auffrischungs-Impfung für Personen mit stark geschwächtem Immunsystem (mindestens 28 Tage nach der zweiten Impfdosis) empfohlen.
Die ständige Impfkommission (Stiko) des Robert-Koch-Instituts hat daraufhin eine sehr nützliche Übersichtstabelle mit vielen Beispielen erstellt, aus der recht klar hervorgeht, wer sich wann ein drittes Mal impfen lassen sollte und bei wem ein Antikörpertest sinnvoll ist.
Personengruppen mit Risiko-Umfeld
Einige Menschen sind aufgrund ihres beruflichen oder privaten Umfelds besonderen Infektionsrisiken ausgesetzt oder sind in ständigem Kontakt mit Menschen mit hohem Risiko für schwere Verläufe sind (mehr dazu im nächsten Abschnitt). Dazu gehören beispielsweise das Personal im Gesundheits- und Bildungswesen und in Pflege- und Betreuungseinrichtungen, die Bewohner bzw. Betreuten in diesen Einrichtungen und andere Menschen mit ständigem Kontakt zu vulnerablen Personen.
Für diesen Personenkreis (oder zumindest einen Teil davon) wird in den meisten europäischen Ländern zu einer Auffrischungs-Impfung geraten, weil durch den dadurch ansteigenden Antikörper-Titer das Risiko der Virus-Übertragung erheblich gemindert wird.
In vielen dieser Bereiche dient die Covid-19-Impfung neben dem Schutz der Person selbst auch dem Schutz der der jeweiligen Person anvertrauten Menschen. Und weil bei Pflegekräften der Schutz der anvertrauten Patienten zwingend ist, stellt sich ganz automatisch auch die Frage nach einer Impfpflicht für Menschen, die beruflich ständig in Kontakt mit Risiko-Patienten kommen.
Ein paar Worte zur Impfpflicht für bestimmte Gruppen
In manchen Ländern (beispielsweise Frankreich oder Griechenland) gilt für bestimmte Berufe bereits eine Impfpflicht. Andere Länder (dazu gehören beispielsweise Deutschland und Luxemburg) lehnen eine solche Impfpflicht ab und setzen stattdessen eher auf 2G- und 3G-Regelungen, um für ungeimpfte Mitarbeiter(innen) und Bewohner(innen) zumindest regelmäßige Tests zu erzwingen.
Manche Einrichtungen gehen auch in Ländern ohne Impfpflicht einen Schritt weiter und verlangen zwingend eine Impfung. Gerade im Gesundheitswesen kann eine solche Regelung durchaus sinnvoll sein, weil Geschäftsleitungen im Rahmen des Organisationsverschuldens für durch ungeeignete Mitarbeiter verschuldete Gesundheitsschäden haftbar gemacht werden könnten und eine innerbetriebliche Impf-Verpflichtung daher eventuellen Klagen von Angehörigen vorbeugen kann.
Das setzen auf Freiwilligkeit scheint jedenfalls im Gesundheitswesen nicht den erhofften Erfolg zu zeigen. In Luxemburg sind (Quelle: ECDC) beispielsweise gerade einmal knapp 82 Prozent der Mitarbeiter im Gesundheitswesen geimpft, in den restlichen EU-Ländern zeigt sich eine ähnliche Entwicklung. Damit arbeiten alleine hierzulande immer noch knapp 3.000 ungeimpfte Mitarbeiter im Gesundheitswesen.
Ob (auch ständige) PCR- oder Antigen-Tests das von diesen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ausgehende Risiko für die Patientinnen und Patienten mindern können, halte ich persönlich im Hinblick auf die Charakteristika der Delta-Variante für ziemlich unwahrscheinlich. Zumindest das luxemburgische Centre Hospitalier de Luxembourg (CHL) scheint das Risiko ähnlich zu beurteilen und stellt aus diesem Grunde kein ungeimpftes Personal mehr ein, andere Kliniken hierzulande scheinen (noch) anderer Ansicht zu sein (siehe beispielsweise hier im Tageblatt).
Sonderfall Janssen
Generell anzuraten ist eine Booster-Impfung auch bei Personen, die mit dem Impfstoff von Janssen geimpft worden sind. Denn bei diesem Impfstoff werden in Deutschland die meisten Impfdurchbrüche im Verhältnis zur Anzahl der verabreichten Impfstoffdosen beobachtet, aufgrund dieser vergleichsweise geringen Wirksamkeit gegenüber der Delta-Variante empfiehlt das Robert-Koch-Institut eine Booster-Impfung mit einem mRNA-Impfstoff ab 4 Wochen nach der Janssen-Impfung.
Für diejenigen, die sich über die Wirkung der Booster-Impfung mit einem der mRNA-Impfstoffe weiter informieren möchten, gibt’s hier einen interessanten Twitter-Thread des US-amerikanischen Wissenschaftlers und Autors Eric Topol.
Menschen unter 60 Jahren mit normalem Immunschutz
Anmerkung/Aktualisierung vom 24. Oktober 2021: Ich wurde darauf aufmerksam gemacht (vielen lieben Dank an @JesseVentura86 dafür), dass durch die Formulierung dieses Abschnitts der Eindruck entsteht, dass eine Booster-Impfung in den reichen Ländern dieser Welt die Impfstoffknappheit in den ärmeren Ländern erhöhen würde und dass sie keinen Nutzen für Menschen unter 60 hätte. Das war so nicht gemeint, daher habe ich diesen Abschnitt heute überarbeitet.
Eine Booster-Impfung ist auch bei Menschen unter 60 Jahren mit normal arbeitendem Immunsystem hocheffektiv. Daten aus der Phase-3-Studie zeigen eine nochmalige Reduktion symptomatischer Infektionen um über 95 % und deuten auf eine lang anhaltende Wirkung hin (mehr Informationen dazu finden Sie hier auf Twitter). Dazu kommt ein deutlich höherer Antikörper-Spiegel nach der Auffrischungs-Impfung:
Die Auffrischungs-Impfung erhöht also noch einmal den Schutz des Geimpften und reduziert zusätzlich die Infektiosität. Deswegen sollten Länder mit ausreichenden Impfstoff-Vorräten (dazu gehören Luxemburg und Deutschland) dem Beispiel von Ländern wie Dänemark oder den USA zu folgen und die Booster-Impfung jedem (ungeachtet seines Alters) ermöglichen.
Das ein solches 3-Dosen-Impfschema nicht von Anfang an eingeplant wurde (obwohl die Sinnhaftigkeit dafür schon damals absehbar war), lag an zwei Faktoren. Zum einen hätten die Zulassungs-Studien wenigstens 6 Monate länger gedauert, wenn man sie mit einem 3-Dosen-Schema durchgeführt hätte. Und diese Zeit hatten wir damals nicht. Und zum zweiten war von Anfang an klar, dass das große Problem die Produktion von genügenden Mengen an Impfstoff in kürzester Zeit sein würde. Und da ein 2-Dosen-Schema bereits einen sehr guten Immunschutz bewirkt, konnte man so einen größeren Teil der Bevölkerung schneller versorgen.
Ein 3-Dosen-Impfschema bewirkt also einen höheren Immunschutz als eines mit 2 Dosen, benötigt aber auch mehr Zeit und lässt sich nur mit genügend Impfstoff realisieren. Der Impfstoff für eine Booster-Impfung ist heute in vielen europäischen Ländern nur deswegen verfügbar, weil sich ein Teil der Bevölkerung aus irgendeinem Grund nicht impfen lassen möchte.
Deswegen verfügen wir heute über Impfstoffe, die demnächst ablaufen werden und die offenbar keiner haben möchte. Damit können wir den eigentlich besseren Weg der Impfung eines möglichst großen Teils der Bevölkerung mit einem 2-Dosen-Schema zu schützen leider aufgrund dieser Impfskepsis nicht beschreiten. An dieser Situation können wir nichts ändern und sollten deswegen die zweitbeste Lösung wählen und diese überzähligen Impfstoffe dazu nutzen, möglichst vielen Menschen eine Booster-Impfung zu ermöglichen.
Die zukünftige Situation
Aber das alles ändert nichts daran, dass Impfstoffe in ärmeren Ländern immer noch knapp sind. Und da wir gezwungen sein werden, das Infektions-Geschehen weltweit zu senken, wenn wir diese Pandemie wirklich unter Kontrolle bekommen wollen, werden wir nach Lösungen suchen müssen.
Die mRNA-Impfstoffe von BioNTech/Pfizer und Moderna eigenen sich aufgrund der niedrigen Lagertemperatur und der dafür notwendigen Infrastruktur eignen sich für den weltweiten Einsatz eher schlecht. Daher dürften es in Zukunft wohl so aussehen, dass die mRNA-Impfstoffe eher in den reichen Ländern mit ausgebauter Infrastruktur verwendet werden (und damit bei uns auch weiterhin Booster-Impfungen für alle möglich sind), wohingegen in den ärmeren Ländern eher leichter zu lagernde Impfstoffe (beispielsweise AstraZeneca, Janssen, Sputnik, Sinopharm oder Sinovac) genutzt werden dürften.
Die deutsche Regierung scheint das ähnlich zu sehen und nutzt für Impfstoff-Spenden die Impfstoffe von AstraZeneca und Janssen.
Fazit
Ich hoffe, ich konnte Ihnen in diesem Artikel erklären, warum gegen Covid-19 geimpfte Menschen viel besser geschützt sind, als aus manchen Zahlen und Schlagzeilen hervorgeht. Weltweit wurden mittlerweile 3,76 Milliarden Menschen geimpft (Quelle: OurWorldInData, Stand 12.10.2021), das entspricht knapp 48 Prozent der Weltbevölkerung.
Die von diversen Impfgegnern, Schwurblern und sogenannten Querdenkern heraufbeschworenen Folgen sind dabei nicht aufgetreten (wir sollten es doch wohl bemerkt haben, wenn knapp die Hälfte der Weltbevölkerung verstorben oder unfruchtbar wäre, oder?). Und auch ernsthafte Nebenwirkungen der Impfung hat es ganz offensichtlich dabei nicht gegeben, selbst extrem seltene Nebenwirkungen müssten uns bei mehr als 6,5 Milliarden verabreichten Impfdosen wohl mittlerweile aufgefallen sein.
Anmerkung: Im Internet gibt’s übrigens mittlerweile eine Website, auf der die Prophezeiungen von einigen besonders aktiven Schwurblern aufgelistet werden. Die Liste der nicht erfüllten Prophezeiungen ist lang und wird immer länger (insgesamt 380 waren’s am 15. Oktober 2021) und liest sich recht amüsant. Erstaunlich ist allenfalls, wie viele dieser Märchen bis heute durch’s Internet schwurbeln.
Ich möchten diesen Artikel daher mit einer Bitte an Sie abschließen. Bitte lassen Sie sich möglichst schnell impfen. Es ist notwendig, sehr viel ungefährlicher als eine Infektion und es schützt Sie. Die heute noch gültige Meinung der Wissenschaft dazu hat Prof. Christian Drosten in seinem Podcast schon im Mai dieses Jahres so zusammengefasst:
Patientenzentriert ist die Herdenimmunität ziemlich irrelevant, denn jeder wird immun werden. 100 Prozent, nicht 70 oder 80 Prozent, sondern 100 Prozent in der Bevölkerung werden unweigerlich in einem Fenster – das von jetzt noch so anderthalb Jahre läuft – immun werden. Entweder durch die Impfung oder durch eine natürliche Infektion.
Dieses Virus wird endemisch werden, das wird nicht weggehen. Wer sich jetzt aktiv dagegen entscheidet, sich impfen zu lassen, der wird sich unweigerlich infizieren. Da kann man nichts dagegen tun.
Prof. Christian Drosten im NDR-Podcast, Folge 88
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