Corona

Das Problem mit den Corona-Tests

Aus der Serie „An- und Einsichten aus der Statistik zum Thema Corona“

Eigentlich könnte ja alles so einfach sein. Eine Person klagt über Beschwerden, die auf eine Covid-19-Erkrankung hindeuten. Der Arzt verschreibt daraufhin einen Test, der Test wird gemacht, bei positivem Befund wird die betreffende Person unter Quarantäne gestellt.

Aber leider gibt es da zwei ganz erhebliche Probleme. Das eine liegt darin, dass unser hypothetischer Patient zum Zeitpunkt des Tests (also beim Auftreten der ersten Symptome) bereits seit einigen Tagen ansteckend ist und mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits einige andere Personen angesteckt hat. Die Gründe für die Gefährlichkeit finden sich in Hunderten von Artikeln im Internet, beispielsweise hier im Luxemburger Wort.

Das zweite Problem liegt darin, dass kein Land der Welt so viele Tests vornehmen kann, wie es eigentlich nötig wäre. Und mit genau dieser Problematik befasst sich dieser Artikel.

Das exponentielle Wachstum

Weil das neue Corona-Virus sehr ansteckend ist, erleben wir im Moment weltweit einen exponentiellen Anstieg der Infizierten. Für den Begriff des „exponentiellen Wachstums“ fehlt allerdings den meisten von uns das Verständnis, weil wir intuitiv meist mit linearem Wachstum rechnen. Deswegen möchte ich den Begriff hier noch einmal kurz erklären.

Bei einem linearen Wachstum ist die Änderung pro Zeiteinheit konstant, in jeder Zeiteinheit kommt immer dieselbe Menge dazu. Im Gegensatz dazu ist bei einem exponentiellen Wachstum die Veränderungsrate konstant, in jeder Zeiteinheit erhöht sich die Anzahl um einen bestimmten Prozentsatz.

Recht anschaulich lässt sich das Prinzip an der Anekdote vom Schachbrett und den Reiskörnern erklären. Von der Anekdote existieren viele Varianten, in einer will der indische König dem Erfinder des Schachspiels, genannt Sessa, eine Belohnung für seinen Geniestreich geben. Sessa bat um ein einziges Reiskorn auf dem ersten Feld eines Schachbretts. Auf dem zweiten Feld sollten es dann doppelt so viele sein, also zwei. Auf dem dritten erneut doppelt so viele und immer so weiter bis zum letzten Feld.

In diesem Beispiel würden sich auf dem dreißigsten Feld unseres imaginären Schachbretts dann bereits knapp 537 Millionen Reiskörner befinden.

Beim neuen Corona-Virus liegt die Verdopplungsrate in der Anfangsphase bei ungefähr 2 Tagen. So wurden in Luxemburg in der Woche aus 1 Infizierten am 4. März bis zum 18. März 203. Bei einer weiteren Ausbreitung mit dieser Verdopplungsrate (1,827) hätte es in Luxemburg am 7. April bereits über 400.000 Infizierte geben können. Durch die Verringerung der Verdopplungsrate als Folge der strikten Maßnahmen waren es tatsächlich „nur“ 2.970.

Die Dunkelziffer durch die Überforderung der Laboratorien

Durch das schnelle Wachstum der Anzahl der Infizierten sind im Moment die Laborsysteme aller Länder überfordert. Deswegen werden in fast allen Ländern nur die Personen getestet, die entweder starke Symptome aufweisen oder die als Risiko-Patienten identifiziert werden.

In Luxemburg sind die konkreten Zahlen besser ersichtlich, als das in vielen anderen Ländern der Fall ist. Nach den vorliegenden Zahlen können hier im Land ungefähr 1.500 Tests pro Tag durchgeführt werden. Von diesen Tests fallen durchschnittlich ungefähr 10 % positiv aus (das bestätigt sich auch aus den Zahlen anderer Länder mit hoher Testanzahl wie beispielsweise Deutschland).

Daher können in Luxemburg selbst bei voller Auslastung der Laboratorien kaum mehr als um die 150 Neu-Infizierte pro Tag festgestellt werden. Und zwar unabhängig von der Anzahl der tatsächlich Infizierten, mehr lässt das Testsystem einfach nicht zu.

Seit dem 17. März (an dem Tag hat Luxemburg erstmals die Grenze von 100 Infizierten überschritten) bis zum 10. April wurden hierzulande rund 28.000 Tests durchgeführt und etwas mehr als 3.000 Neu-Infizierte festgestellt. Durchschnittlich wurde damit pro Tag in dieser Periode von 25 Tagen rund 125 Neu-Infizierte pro Tag festgestellt, seit dem Anfang der Pandemie sind es durchschnittlich 77 Neu-Infektionen pro Tag.

Lieferprobleme bei Test-Reagenzien

In den letzten Tagen scheint die Anzahl der Tests in vielen Ländern (auch in Luxemburg) etwas abzunehmen. Einen Grund dafür hat Felix Peterhammer von der Universität Regensburg in einer aktuellen Studie herausgefunden (siehe auch SPIEGEL vom 10.04.2020). Und zwar die mangelnde Verfügbarkeit der Testmaterialien auf dem Weltmarkt.

Für PCR-Tests zum Nachweis von SARS-CoV-2 werden Testkits und Reagenzien benötigt. Die allerdings sind bei den Produzenten, die hauptsächlich in China und den USA sitzen, aufgrund der enormen Nachfrage immer schwerer zu beschaffen. Sobald diese Materialien knapp werden, verringert sich auch die Anzahl der möglichen Tests.

Während in der Vorwoche (28. März – 3. April) in Luxemburg noch durchschnittlich 1.281 Tests pro Tag durchgeführt wurden, waren es in der letzten Woche (4. – 10. April) nur noch 973 Tests pro Tag.

Die Nachweisgrenze

Mit derzeit rund 1.000 Tests pro Tag lassen sich bei 10 % positiven Resultaten rein rechnerisch pro Tag ungefähr 100 Neu-Infektionen nachweisen. Tatsächlich wurden in Luxemburg in der Woche vom 4. bis zum 10. April durchschnittlich 87 Neu-Infektionen pro Tag nachgewiesen.

Daher ist es nicht völlig von der Hand zu weisen, dass der derzeitige recht geringe Anstieg der Fallzahlen in Luxemburg letztlich nicht die tatsächliche Zahl der Neuninfektionen zeigen, sondern nur die Nachweisgrenze der Laboratorien.

Wohlgemerkt, das oben gesagte ist eine Annahme, wenn auch eine aus den vorliegenden Zahlen heraus plausible. Aber natürlich mag es auch andere Erklärungen geben.

Das Fazit für Luxemburg

Falls die oben gemachten Annahmen der Realität entsprechen sollten, hätte das eine recht große Auswirkung auf eine mögliche Lockerung der derzeitigen Maßnahmen. Weil die tatsächliche Zunahme der Infektionen in diesem Fall nämlich größer wäre, als die offiziellen Zahlen das nahelegen.

Was dann wiederum bedeuten würde, dass die getroffenen Maßnahmen einen etwas geringeren Effekt hatten, als sich aus der Zahl der Neu-Infektionen ablesen lässt. In diesem Fall wäre es besser, die getroffenen Maßnahmen noch einige Wochen beizubehalten, um dann anhand neuer Daten (beispielsweise aus der jetzt startenden Con-Vince-Querschnitts-Studie) eine bessere Bewertung vornehmen zu können.

Die luxemburgische Regierung hat deswegen völlig recht, wenn sie zu mehr Geduld mahnt und momentan noch keine Exit-Strategie festlegen möchte. Momentan liefern die verfügbaren Zahlen noch keine ausreichende Grundlage zur Beurteilung der reellen Entwicklung.

Claus Nehring

Ich bin freiberuflicher Autor, Journalist und Texter (aka "Schreiberling") aus Luxemburg. Als Informatiker und Statistiker habe ich jahrelange Erfahrung in der Visualisierung und Modellierung großer Datenmengen. Ich beschäftige mich seit mehr als 30 Jahren mit Infektionskrankheiten und publiziere Artikel zu diesem Thema, aus verschiedenen anderen Wissenschafts-Bereichen und aus dem Bereich Internet & Gesellschaft,

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