Corona

Wie evolvieren eigentlich Viren?

Dieser Artikel stammt von „Bissiges Mäuschen“ und ist mit ihrer freundlichen Genehmigung hier im Blog veröffentlicht worden. Sie können (und sollten) ihr auf Twitter unter https://twitter.com/BMauschen folgen. Basis für den Artikel ist ein Twitter-Thread, den Sie mit allen Kommentaren und Anmerkungen hier finden können.

Wie evolvieren eigentlich Viren? Da geht doch immer wieder einiges durcheinander, auch weil häufig Evolution doch nicht so ganz verstanden ist oder Sprache unpräzise bleibt.

Ich will mal versuchen, ein paar Punkte einfach zu erklären.

Der erste wichtige Beitrag zur Evolution ist zufällig. Bei der Vermehrung entstehen immer wieder einmal Veränderungen im Erbgut, zusätzlich können Viren untereinander auch Teile ihres Erbguts austauschen (Rekombination) – durch diese Mechanismen entstehen immer wieder neue Varianten – man spricht daher von Variation.

Manche dieser Varianten haben jetzt Eigenschaften, die unter bestimmten Bedingungen für die Vermehrung von Vor- oder (wohl häufiger) Nachteil sind. Diese Varianten vermehren sich dann besser oder schlechter, womit wir beim zweiten wichtigen Beitrag sind – der Selektion.

Wie viele Varianten entstehen hängt also grob gesehen vor allem damit zusammen, wie viele Viren es schon gibt, die sich unperfekt vermehren können und ob bestimmte Varianten dann einen immer größeren Anteil von allen Viren ausmachen, hängt von den äußeren Umständen ab (Selektionsdruck).

Infiziert z.B. ein an ein Tier angepasstes Virus zum ersten Mal einen Menschen, dann werden solche Varianten einen Vorteil haben, die besser an menschliche Zellen binden.

Bei der Übertragung von Mensch zu Mensch haben solche Varianten Vorteile, die sich schneller vermehren, die Schleimhäute befallen, länger in der Luft intakt bleiben und so weiter.

Wenn Menschen sichtbar Kranke behandeln und isolieren, dann haben Virusvarianten Vorteile, die weniger Symptome hervorrufen und wenn in einer Bevölkerung durch Infektion oder Impfung viele Menschen immun sind, haben Varianten Vorteile, die neue Eigenschaften haben und vom Immunsystem schlechter erkannt werden.

Die Selektion hängt also ganz stark von äußeren Umständen ab, kann ihre Richtung ändern und wirkt oft gleichzeitig auf verschiedene Eigenschaften. Das macht sie teilweise vorhersagbar aber auch komplex und das führt auch dazu, dass kein Virus alles gleichzeitig „optimieren“ kann:

Ein Virus das besonders gut an Zellen bindet, kann z.B. die einzelne Zelle vielleicht gut infizieren, sich aber auch schwerer lösen und dann andere Zellen und Individuen befallen. Man spricht wenn eine Eigenschaft Vor- und Nachteile hat von Trade-offs und es gibt dann ein Optimum für diese Eigenschaft – und bei allen Eigenschaften zusammen oft mehrere Optima.

Ein klassisches Beispiel bei Tieren wären Schildkröten und Gazellen – man kann entweder den Panzer oder den schnellen Lauf optimieren, als Warzenschwein auch ein Mittelding und je nach Ökosystem können alle dieser Lösungen funktionieren oder nur manche.

Bei Viren, die frisch auf den Menschen übergehen, ist der Selektionsdruck oft sehr stark, einerseits Menschen effektiv zu infizieren und sie andererseits nicht zu schwer erkranken oder sterben zu lassen, damit sie auch andere noch infizieren können.

Wenn das aber effektiv funktioniert, lässt der Druck harmloser zu werden stark nach. Für SARS-CoV-2 zum Beispiel wäre Harmlosigkeit erst dann wieder ein starker Selektionsdruck, wenn es dadurch einer effektiven Überwachung des Gesundheitssystems entgehen könnte. Im Moment klappt offenbar die Übertragung auf immer neue Wirte gut, obwohl manche davon später sterben.

Ein anderer wichtiger Selektionsdruck ist unser Immunsystem, wobei das Virus hier in einer gewissen Zwickmühle steckt: In Wirten ohne Immunität wären optimierte Proteine, um unsere Zellen zu infizieren, von Vorteil, in bereits immunen Wirten dagegen wären veränderte, vom Immunsystem nicht mehr erkannte Proteine von Vorteil – die dann aber eben auch nicht unbedingt mehr die vorher optimierten Eigenschaften hätten.

Ob Immunescape-Varianten also mehr oder weniger infektiös und ob sie harmloser oder gefährlicher sind, ist nicht von vornherein vorherzusagen.

Während man also gewisse Trends vorhersagen kann (z.B. Viele Infizierte erzeugen viele Varianten oder Impfungen könnten veränderte Varianten selektieren), sind Detailvorhersagen oft nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich – z.B. kennen wir teilweise die Stellen in Virenproteinen, die vom Immunsystem am besten erkannt werden und können erwarten, dass Mutationen dort selektiert werden.

Je mehr wir über die Funktionsweise der einzelnen Virusproteine wissen, desto eher können wir natürlich auch bei neuen Varianten abschätzen, welche Eigenschaften betroffen sein könnten und können so ihr Potential gefährlich zu werden teilweise vorhersagen.

Fassen wir zusammen:

  • Evolution ist teilweise zufällig, teilweise gerichtet, so dass wir grobe Trends und Wahrscheinlichkeiten, aber nicht Einzelereignisse vorhersagen können
  • Viele Viren erzeugen viele Varianten und zusammen mit starkem Selektionsdruck, können sich dann auch gefährliche neue durchsetzen
  • Sequenzierung und molekularbiologisches Wissen können helfen Kandidaten dafür früher zu erkennen

Und jetzt schauen wir mit dem Wissen mal ein paar immer wieder gehörte Aussagen an:

Corona wird wie andere Krankheiten irgendwann harmlos!“ – das lässt sich schwer begründen, es könnte sein, es könnte aber (wie z.B. Polio, Pocken, Masern) auch konstant etwa gleich gefährlich bleiben.

Die Impfung erzeugt gefährliche Mutanten!“ – Nö, sie kann auf solche Varianten selektieren, die der Immunität entkommen, vor allem bei hohem Infektions-Geschehen, wo viele Varianten vorkommen, aber weder erzeugt sie diese direkt, noch müssen diese in anderen Eigenschaften gefährlicher sein.

Wissenschaftler machen Panik bei jeder neuen Mutante, die sie entdecken!“ – Nö, sie behalten die im Auge, die vor unserem molekularbiologischen Wissen hohes Potential haben, gefährlich zu werden und/oder klinisch auffällig sind.

Wie es mit Corona weitergeht kann man (nicht) vorhersagen!“ – In beiden Extremen falsch.

Das war jetzt so ein ganz grober Überblick und ich hoffe, ich hab‘ damit nicht mehr Verwirrung als Verstehen angerichtet 😅

Mäuschen out!

Den Original-Thread mit allen Kommentaren gibt’s übrigens hier :

Bissiges Mäuschen

Wenn schon Mäuschen, dann wenigstens bissig! Ich trolle Twitter mit Argumenten und manchmal ein bisschen Sarkasmus

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