Corona

Warum Luxemburg kein Risiko für seine Nachbarn ist

Zuletzt aktualisiert am 25. Juli 2020 von Claus Nehring

Wenn man derzeit so manche Beiträge in den sozialen Medien liest, gewinnt man den Eindruck, dass die Trump’sche Logik so langsam auch in Luxemburg Einzug hält. Der US-Präsident ist ja bekanntlich der Meinung, dass die USA nur aufgrund der vielen Tests so viele Infizierte haben, gäbe es keine Tests, gäbe es auch keine Infizierten. Was ungefähr ebenso richtig ist, wie beispielsweise die Behauptung, dass es ohne Blutzucker-Messungen keine Diabetiker gäbe. Besonders intelligent sind solche Äußerungen nun gerade nicht.

Eine ähnliche Qualität hat die Behauptung, dass Luxemburg nur deswegen so viele Neu-Infektionen hat, weil hierzulande so viel getestet wird. Sowohl die luxemburgische Gesundheitsministerin Paulette Lenert (beispielsweise hier im Luxemburger Wort) als auch die Vertreter von Research Luxembourg (zum Beispiel hier im Tageblatt oder hier im Wort) bestätigen, das dem nicht so ist. Trotzdem hält sich das Gerücht ziemlich hartnäckig und wird gebetsmühlenartig wiederholt.

In diesem Artikel möchte ich darauf eingehen, wie die luxemburgische Teststrategie uns von unseren Nachbarländern unterscheidet. Und warum die Einstufung als Risikogebiet trotzdem nicht auf diese Teststrategie, sondern auf die erfolgten Öffnungen und auf das Verhalten eines Teiles der Bevölkerung in Luxemburg zurückzuführen ist. Und vor allem auch, warum diese Einstufung an der Realität vorbeigeht.

Der Anteil der Large-Scale-Tests an den Neu-Infektionen

Das Large-Scale-Testing macht derzeit nach Angaben in verschiedenen Pressekonferenzen ungefähr 75 % aller Tests aus. Mit diesen Tests wurden rund 10-12 % der bisher Infizierten entdeckt, typischerweise handelt es sich hier um Personen ohne oder nahezu ohne Symptome.

Das heißt in Zahlen, das bisher in ungefähr 219.000 Tests aus dem Large-Scale-Testing rund 500 Infizierte entdeckt wurden. Die Positivrate (also der Anteil der positiv getesteten Personen an der Gesamtzahl der Tests) liegt damit bei ungefähr 0,23 %.

Das ist ein durchaus beachtliches Resultat, mit dem das Infektionsgeschehen mit Sicherheit um einiges entschärft wurde. Aber diese Zahlen alleine reichen nicht aus, um den deutlichen Anstieg der Neu-Infektionen in Luxemburg zu erklären.

Die restlichen Tests

Aus den oben genannten Zahlen ergibt sich auch, das rund 73.000 Tests aufgrund von Symptomen oder zumindest aus eigenem Antrieb erfolgt sind. Aufgrund dieser Tests wurden daher rund 4.500 Infizierte entdeckt. Das wiederum entspricht einer relativ hohen Positivrate von 6,16 %.

Diese Tests kommen normalerweise dadurch zustande, dass eine betroffene Person an sich selbst Symptome entdeckt, die auf eine COVID-19-Erkrankung hindeuten könnten, sich dann an ihren Arzt wendet und in der Folge auf das SARS-CoV-2-Virus getestet wird. In der Anfangsphase der Corona-Pandemie war die Unsicherheit in der Bevölkerung ziemlich groß, daher war die Bereitschaft zu einem Test wahrscheinlich schon bei sehr geringen Symptomen ziemlich groß.

Nachdem immer mehr Menschen die Pandemie eigentlich schon abgehakt haben und die Angst vor einer Ansteckung in Teilen der Bevölkerung abgenommen haben dürfte, lassen sich die betroffenen Menschen möglicherweise erst bei etwas stärkeren Symptomen überhaupt testen.

Das ist wohlgemerkt nichts weiter als eine unbewiesene Hypothese, aber es gibt doch zwei Faktoren, die für diese Hypothese sprechen.

Die Entwicklung der Testanzahl seit dem Large-Scale-Testing

Das Large-Scale-Testing (LST) begann in Luxemburg Anfang Juni. Zwischen dem 1. März und dem 1. Juni wurden hierzulande 75.594 Tests durchgeführt, die dementsprechend nichts mit dem LST zu tun gehabt haben. Allerdings sind in diesen Tests wohl um die 20.000 Tests an bestimmten Gruppen (ConVince-Studie, Schüler, Pflegepersonal etc.) enthalten, die wahrscheinlich dem LST zugerechnet werden. Ich würde daher eher von 55.000 Tests ausgehen, mit denen bis zum 1. Juni 4.019 infizierte Personen gefunden worden sind.

Seit dem 2. Juni ist die Anzahl der Tests bis heute (15. Juli 2020) auf 292.711 gestiegen, aus dem Large-Scale-Testing dürften davon also zwischen 230.000 und 240.000 stammen.

Was dann aber wiederum bedeuten würde, dass seit dem 2. Juni bis heute nur rund 7.000 durch einen Arzt veranlasste COVID-19-Tests stattgefunden haben, bei denen 1.037 Infizierte gefunden wurden. Was einer ziemlich hohen Positivrate von 14,8 % entsprechen würde.

Anmerkung: Diese Zahlen lassen sich leider nicht überprüfen. Es wäre zu begrüßen, wenn das Gesundheitsministerium neben der Anzahl der Tests und der positiven Resultate auch auf Tagesbasis veröffentlichen würde, wie viele dieser Tests und positiven Befunde aus dem Large-Scale-Testing stammen. Sobald genauere Zahlen bekanntgegeben werden, werde ich diese Artikel entsprechend aktualisieren.

Grundsätzlich wäre es übrigens durchaus möglich, dass beinahe die Hälfte der seit dem 2. Juni gefundenen Infizierten über das Large-Scale-Testing gefunden wurden. Und das wäre dann nicht nur ein gutes, sondern sogar ein exzellentes Resultat für die Teststrategie der Regierung. Und ein wichtiges Argument gegen die Einstufung von Luxemburg als Risikogebiet durch unsere Nachbarn.

Vermehrt symptomatische Fälle

Dazu passt ein seltsames Phänomen, auf das die luxemburgische Gesundheitsministerin in einer Pressekonferenz am 29. Juni 2020 hingewiesen hat. In letzter Zeit hat sich offenbar der Trend gezeigt, dass mehr und mehr positiv getestete Personen auch tatsächlich die typischen Symptome einer COVID-19-Erkrankung gezeigt haben. Die Rede ist hier von bis zu 80 %.

Bisher haben allerdings rund 80 % der Infizierten nur leichte oder gar keine Symptome gezeigt. Es wäre also durchaus möglich, dass ein immer größerer Personenkreis mit leichten Symptomen mittlerweile eine Erkrankung als so geringfügig einschätzt, dass gar nicht erst nach einem Test gefragt wird.

Auch diese Hypothese lässt sich auf Basis der vorhandenen Informationen nicht überprüfen, sie ist lediglich ein weiterer Fingerzeig auf ein mögliches Nachlassen der Aufmerksamkeit in der Bevölkerung. Allerdings ein wichtiger, denn er könnte auf eine vermehrte Anzahl von unerkannt aktiv Infizieren in der Bevölkerung hindeuten und die momentane Steigerung erklären helfen.

Zusammenfassung

Aus den vorliegenden Zahlen lässt sich mit Sicherheit sagen, dass das Infektionsgeschehen in Luxemburg seit gut zwei Wochen wieder stark zunimmt. Ebenso sicher lässt sich sagen, dass sich das Infektionsgeschehen mehr und mehr auf die Altersgruppe zwischen 15 und 39 Jahren verlagert.

Es scheint mittlerweile recht klar zu sein, dass ein großer Teil des Anstiegs auf die Lockerungen im privaten Bereich nach dem 24. Juni zurückzuführen ist. Daneben legt die Änderung der Altersstruktur zumindest nahe, dass auch die vollständige Schulöffnung in den letzten zwei Wochen vor den Sommerferien ihren Teil zur Bildung unerkannter Infektionsketten beigetragen haben könnte, belegbar ist das allerdings nicht.

Mehr Informationen zur aktuellen Situation finden Sie auch in den Artikeln Quo vadis, Luxemburg? vom 4. Juli 2020 und Was wir in Luxemburg JETZT tun sollten vom 14. Juli 2020 in diesem Blog.

Der Einfluss der Testanzahl in Luxemburg

Sicher ist, dass der starke Anstieg der Fallzahlen in Luxemburg seit Anfang Juli die Einstufung als Risikoland leider durchaus rechtfertigt. Nach offiziellen Angaben haben wir derzeit 750 aktiv Infizierte im Land, auf der Basis von Hochrechnungen (mehr dazu lesen Sie weiter unten) könnten es auch durchaus mehr als 2.000 sein.

Diese unerkannt Infizierten in der Bevölkerung sind es, die das eigentliche Problem darstellen. Übrigens nicht nur in Luxemburg, sondern in allen Ländern der Welt. Denn es handelt sich hier um Menschen, die nicht wissen, dass sie überhaupt infiziert sind. Und die so nichtsahnend das SARS-CoV-2-Virus immer weiterverbreiten.

Luxemburg ist diesbezüglich durch das Large-Scale-Testing sehr gut aufgestellt und steht weltweit an der Spitze der durchgeführten Tests pro Einwohner. Aber diese enorm hohe Testkapazität hat leider auch mit dafür gesorgt, dass Luxemburg heute auch die größte Anzahl von Infizierten pro Einwohner aller Länder Europas aufweist.

Auf den Charts von OurWorldInData ist das recht gut sichtbar.

Nun könnte man in Trump’scher Manier hergehen und sagen, dass die hohe Anzahl an Infizierten nur eine Folge der großen Anzahl an Tests sei. Aber leider ist es nicht so einfach. Denn auch mit der höchsten Testkapazität der Welt muss sich das SARS-CoV-2-Virus zunächst einmal in der Bevölkerung vermehren, damit es überhaupt zu positiven Tests kommen kann.

Und hier spielt jetzt die oben genannte unerkannte Anzahl von aktiv infizierten Personen in der Bevölkerung eine maßgebliche Rolle. Denn wenn 2.000 aktiv Infizierte in der Bevölkerung unterwegs sind, ist die Chance, das einer davon in Ihrem Lieblingsrestaurant sitzt und Sie infiziert, natürlich weitaus höher, als wenn es nur 100 aktiv Infizierte wären.

Deswegen ist die Teilnahme am Large-Scale-Testing so wichtig. Denn wenn auf diesem Wege 100 aktiv Infizierte gefunden werden, die dann nicht mehr in Ihrem Lieblingsrestaurant sitzen können, dann ist Ihr persönliches Ansteckungsrisiko gerade um rund 5 % gesunken. Und das ist doch eigentlich eine gute Nachricht, oder?

Aber nichtsdestotrotz ist das Infektionsgeschehen in Luxemburg natürlich vorhanden, sonst könnte es nicht so viele Neu-Infektionen geben. Insofern könnte man Luxemburg durchaus mit Fug und Recht als Risikoland bezeichnen.

Aber könnte es nicht auch sein, dass unsere Nachbarländer eigentlich auch Risikogebiete sind, das aber aufgrund zu weniger Tests überhaupt nicht bemerken? Dieser Frage möchte ich in den folgenden Absätzen einmal für Deutschland, Belgien und Frankreich nachgehen.

Der Einfluss der Testanzahl in unseren Nachbarländern

Hier möchte ich zunächst einmal anhand der Daten von OurWorldInData auf die reine Anzahl an durchgeführten Tests pro Land eingehen. Die letzten für alle vier Länder (Luxemburg, Deutschland, Frankreich und Belgien) vorliegenden Daten (Stand: 15. Juli 2020) stammen vom 4. Juli 2020, sind also recht aktuell. Hier lässt sich folgendes feststellen:

  • Luxemburg : 10,77 Tests pro tausend Einwohner
  • Deutschland : 0,83 Tests pro tausend Einwohner
  • Frankreich : 0,66 Tests pro tausend Einwohner
  • Belgien : 0,77 Tests pro tausend Einwohner

Aus diesen Zahlen lässt sich schon ziemlich einfach ersehen, dass unsere Nachbarländer deutlich weniger testen, als das in Luxemburg der Fall ist. Dementsprechend dürften bei unseren Nachbarn nur relativ wenige asymptomatische Fälle getestet werden, die Dunkelziffer der unerkannten aktiv infizierten Personen dürfte daher um einiges größer sein.

Rein nach der Anzahl der durchgeführten Tests wäre es also durchaus möglich, dass unsere Nachbarn ein erhebliches Problem mit sich herumschleppen, von dem sie nur ziemlich wenig wissen.

Um zu wissen, wie groß dieses Problem nun aber eigentlich ist, müsste man die Dunkelziffer der Infizierten kennen. Und deswegen geht es im nächsten Abschnitt dieses Artikels darum, wie man diese Dunkelziffer zumindest annähernd bestimmen kann.

Die Rolle der Dunkelziffer

Ich bin weiter oben in diesem Artikel bereits auf die Wichtigkeit der Dunkelziffer eingegangen. Denn die bekannten Infizierten sollten kein größeres Problem für das Infektionsgeschehen darstellen, sofern sie sofort unter Quarantäne gestellt werden (und sich auch an diese Quarantäne halten).

Zum Vergleich der möglichen Dunkelziffer bietet sich in Ländern wie Luxemburg, Deutschland, Frankreich und Belgien aus mehreren Gründen die Anzahl der Todesfälle an. Denn:

  • in diesen Ländern ist das Gesundheitssystem zwar teilweise an seine Grenzen gestoßen aber letztlich nicht zusammengebrochen,
  • in diesen Ländern existieren relativ verlässliche Meldesysteme und die Anzahl der positiv getesteten Verstorbenen sollte daher relativ korrekt sein,
  • und die in diesen Ländern auftretenden Varianten des SARS-CoV-2-Virus dürften relativ ähnlich sein.

Man könnte also auf Basis der Todesfälle und einer angenommenen Infektionssterblichkeit (hier im Beispiel wurde ein IFR von 0,60 % gewählt) auf die tatsächliche Anzahl der Infizierten zu einem bestimmten Zeitpunkt schließen. Das Ergebnis ist zwar mit hoher Wahrscheinlichkeit von den Ergebnissen her falsch, weil es sehr viele unbestimmte Faktoren (wie Bevölkerungszusammensetzung, Behandlungsmethoden, regionale Verbreitung usw.) gibt. Aber der Ansatz liefert zumindest einen Vergleichswert für die jeweiligen Länder, anhand dessen sich zwar nicht die Dunkelziffer selbst ergibt, der aber die Unterschiede zwischen den Ländern ein wenig klarer werden lässt.

Dabei ergeben sich (Stand: 14. Juli 2020) recht interessante Unterschiede:

  • In Luxemburg macht die offizielle Anzahl der Infizierten 0,83 % der Bevölkerung aus, die Hochrechnung ergibt eine Durchseuchung von 3,04 %
    Daraus ergibt sich ein Berechnungs-Faktor für die Dunkelziffer von 2,66, rein rechnerisch kommen also auf einen bekannten Infizierten 2,66 unbekannte.
    Die Fallsterblichkeit (also der Anteil der Todesfälle an den offiziell Infizierten) beträgt 2,20 %
  • Die Todesfallrate
  • In Deutschland macht die offizielle Anzahl der Infizierten 0,24 % der Bevölkerung aus, die Hochrechnung ergibt eine Durchseuchung von 1,82 %
    Daraus ergibt sich ein Berechnungs-Faktor für die Dunkelziffer von 6,58
    Die Fallsterblichkeit beträgt 4,53 %
  • In Frankreich macht die offizielle Anzahl der Infizierten 0,31 % der Bevölkerung aus, die Hochrechnung ergibt eine Durchseuchung von 7,47 %
    Daraus ergibt sich ein Berechnungs-Faktor für die Dunkelziffer von 23,10
    Die Fallsterblichkeit beträgt 14,33 %
  • In Belgien macht die offizielle Anzahl der Infizierten 0,55 % der Bevölkerung aus, die Hochrechnung ergibt eine Durchseuchung von 14,28 %
    Daraus ergibt sich ein Berechnungs-Faktor für die Dunkelziffer von 24,96
    Die Fallsterblichkeit beträgt 15,59 %

Wie gesagt, dies sind keine exakten Zahlen. Abhängig von der Situation im jeweiligen Land mögen die tatsächlichen Werte zwischen den Ländern mehr oder weniger deutlich variieren. Aber der sich aus diesen Zahlen ergebende Trend ist recht klar ersichtlich.

Mehr zu den verschiedenen Werten für die Sterblichkeit finden Sie übrigens auch im Artikel Betrachtungen zur Fallsterblichkeit vom 17. April 2020 in diesem Blog:

Was sagen die Zahlen aus?

Grundsätzlich lässt sich aus den Zahlen entnehmen, dass die Länder mit der höchsten Testanzahl (das sind hier Luxemburg und Deutschland) auch die verhältnismäßig niedrigste Anzahl von Todesopfern zu beklagen haben. Das liegt ganz einfach daran, dass eine frühzeitige Erkennung fast immer eine bessere Behandlung ermöglicht. Und daneben natürlich dafür sorgt, dass mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit die Dunkelziffer in Deutschland und Luxemburg erheblich geringer ausfallen wird, als das in Frankreich und Belgien der Fall sein dürfte.

Was wiederum bedeutet, dass sich die Teststrategie der luxemburgischen Regierung jetzt auszuzahlen beginnt. Und dass Luxemburg ungeachtet des derzeit starken Anstiegs der Neu-Infektionen wahrscheinlich um einiges besser dasteht, als es unsere Nachbarländer tun. Tendenziell ist die Chance auf unliebsame Überraschungen bei uns vermutlich um einiges geringer als bei unseren direkten Nachbarn.

Aber besser heißt natürlich noch lange nicht gut. Denn wirklich gut steht in dieser Pandemie kein Land da. Aber die Probleme, die wir derzeit haben, werden vermutlich auch unsere Nachbarländer in nicht allzu ferner Zukunft bekommen. Denn nicht so viele asymptomatische Fälle zu testen heißt ja nicht, dass die Infektionen nicht da wären.

Wo liegen die Probleme?

Die Probleme sind recht einfach zu beschreiben, und sie haben sich nicht geändert. Zusammenkünfte von mehreren Menschen, die sich nicht an die Regeln zu halten, stellen, speziell in Innenräumen, ein ziemliches Risiko dar. Gerade bei jungen Leuten, die mit hoher Wahrscheinlichkeit keine (oder nur geringe) Symptome haben werden, eröffnen sich hier mannigfaltige Möglichkeiten für neue, unentdeckte Infektionsketten.

Was in dieser Hinsicht die vollständige Öffnung der Schulen in der letzten Woche an neuen Infektionsketten geschaffen hat, ist derzeit kaum absehbar. Aber jedenfalls sieht es nicht danach aus, als seien die vorher angekündigten Vorsichtsmaßnahmen tatsächlich zur Anwendung gekommen und als seien etwaige Quarantäne-Maßnahmen mehr als nur halbherzig durchgeführt worden. Ein Bericht darüber findet sich beispielsweise hier im Tageblatt vom 13. Juli 2020.

Offenbar ist auch die Regierung der Meinung, das die im neuen COVID-Gesetz (das am morgigen 16. Juli 2020 im Parlament verabschiedet werden soll) festgelegten Maßnahmen möglicherweise nicht ausreichend sein werden. Jedenfalls hat der luxemburgische Premierminister Xavier Bettel heute angekündigt, dass am Sonntag im Regierungsrat über weitere Maßnahmen beraten werden soll, wenn die Entwicklung bis zum Wochenende so weitergeht.

Positiv ist allerdings zu sagen, dass die jetzige Entwicklung nach den Lockerungen durchaus zu erwarten gewesen ist, nur die Geschwindigkeit der Steigerung überrascht ein wenig. Momentan ist die Lage nach den Worten von Xavier Bettel „zwar ernst, aber nicht katastrophal“. Letztlich wird man sehen müssen, ob die Lage in den Kliniken auch weiterhin unter Kontrolle bleibt.

Fazit

Luxemburg ist derzeit ein wenig ein Opfer seiner eigenen Strategie. Die Tatsache, dass hierzulande erheblich umfangreicher getestet wird, als in den Nachbarländern, hat im europaweiten Vergleich zu relativ hohen offiziellen Infizierten-Zahlen geführt.

Allerdings ist das Large-Scale-Testing nicht der Grund für die stark angestiegenen Neu-Infektionen in den letzten Wochen, das bestätigt auch Research Luxembourg und der Direktor der Santé, Jean-Claude Schmit. Das dieser neuerliche Anstieg dermaßen stark ausgefallen ist, dass man jetzt bereits von einer zweiten Welle reden muss, ist mit ziemlicher Sicherheit dem vielfach zu beobachtenden Verzicht auf die Einhaltung der Abstands- und Hygiene-Regeln zuzuschreiben.

Und leider treten diese Neu-Infektionen in Luxemburg ziemlich breitflächig in der Bevölkerung auf und können keinen größeren Clustern zugeordnet werden. Was ein Zeichen dafür ist, dass sich bereits überall im Land neue Infektionsketten gebildet haben.

Aber trotz des starken Anstiegs der Neu-Infektionen steht Luxemburg im europäischen Vergleich immer noch sehr gut da. Denn trotz ziemlich weitreichender Lockerungen sieht es derzeit immer noch danach aus, dass die Situation kontrollierbar bleibt, wenn sich die Menschen zukünftig an die Regeln zum Social Distancing halten würden.

Die Regeln, die wir jetzt beherzigen sollten, habe ich bereits im Artikel Was wir in Luxemburg JETZT tun sollten vom 14. Juli 2020 in diesem Blog beschreiben und dem habe ich auch aus heutiger Sicht nichts hinzuzufügen.

In unseren Nachbarländern ist die Situation übrigens keinesfalls besser unter Kontrolle. Es steht sogar zu befürchten, dass sich das SARS-CoV-2-Virus aus den gleichen Gründen wie bei uns bereits unentdeckt weiterverbreitet hat und dass irgendwann in nicht allzu ferner Zukunft auch in diesen Ländern neue breitflächige Infektionsketten entstehen werden. Diese unerkannten Infektionsketten dürften auch bei unseren Nachbarn das Infektionsgeschehen neu anfachen.

Insofern kann man wahrscheinlich heute sagen, dass Luxemburg durchaus ein Risikogebiet geworden ist. Aber man kann ebenfalls sagen, dass es unseren Nachbarn nicht besser, sondern wohl eher noch schlechter geht. Denn Luxemburg hat diesen neuerlichen Ausbruch dank einer sehr hohen Testkapazität rechtzeitig genug entdeckt, um die Chance zu einer Eindämmung zu haben.

Ob das unseren Nachbarländern auch glücken wird, bleibt abzuwarten.

In Frankreich scheinen die Zeichen eher auf Sturm zu stehen. Der französische Präsident Emmanuel Macron kündigte pünktlich zum Nationalfeiertag (14. Juli) eine Verschärfung der Maskenpflicht zum 1. August aufgrund einer absehbaren Beschleunigung des Infektionsgeschehens an. Frankreich ist bereits jetzt mit mehr als 30.000 Todesfällen eines der am stärksten betroffenen Länder Europas. Und Vorfälle wie die beim Konzert des französischen DJ’s The Avener in Nizza am 11. Juli, bei dem rund 5.000 Personen ohne Beachtung der Abstands-Regeln gefeiert hatten, dürften nicht gerade zur Beruhigung der Situation beitragen.

In Belgien steigt die Zahl der Neu-Infektionen seit ungefähr einer Woche ebenfalls langsam wieder an, das berichtet beispielsweise der BRF auf seiner Website. Auch hier ist der Anstieg laut Epidemiologen auf die letzten Lockerungs-Maßnahmen vor zwei Wochen der Grund für den Anstieg der Neuinfektionen sind. Auch hier bleibt abzuwarten, ob sich unentdeckte Infektionsketten bilden konnten und wann diese zum Ausbruch kommen werden. Auch Belgien gehört mit beinahe 10.000 Toten zu den stark betroffenen Ländern Europas.

In Deutschland schien die Situation über lange Zeit ähnlich gut unter Kontrolle zu sein, wie in Luxemburg. Einige größere Ausbrüche in verschiedenen Städten haben allerdings gezeigt, dass sich die Lage sehr schnell wieder verschärfen kann, lokale Ausbrüche sind mehr oder weniger an der Tagesordnung. Inwiefern die international hochgelobte Nachverfolgung durch die lokalen Gesundheitsämter tatsächlich funktioniert, wenn sich das Infektionsgeschehen in die Breite verlagern sollte, bleibt hingegen auch in Deutschland abzuwarten.

Allen unseren Nachbarländern ist gemeinsam, das sie nicht einmal ansatzweise so breitflächig testen, wie Luxemburg das tut. Welche Überraschungen sich bei einer ähnlichen Testkapazität unter der Oberfläche zeigen würden, ist kaum absehbar. Aber es ist leider ziemlich wahrscheinlich, dass mit mehr Tests an asymptomatischen Personen auch die Anzahl der Neu-Infektionen in unseren Nachbarländern rasant ansteigen würde.

Deswegen sollte die Frage, ob das „Risikogebiet“ Luxemburg mit seiner umfassenden Teststrategie nicht vielleicht sogar sicherer ist, als seine Nachbarländer mit ihrer derzeit geringeren Anzahl an Neu-Infektionen, nicht von vornherein verneint werden. Im Moment ist es jedenfalls nicht von der Hand zu weisen, dass die luxemburgische Strategie trotz derzeit hoher Zuwächse letztlich für eine stabilere Lage als bei seinen Nachbarn sorgen könnte.

Spätestens dann, wenn der jetzige Anstieg durch einige zusätzliche Maßnahmen wieder eingefangen werden kann, dürfte wohl endgültig klar werden, dass der luxemburgische Weg so falsch nicht gewesen ist. Also unterstützen Sie ihn bitte und halten Sie sich an die Regeln.

Eine Fortsetzung dieses Artikels mit einer Betrachtung der langsameren Steigerung der Klinikbelegung aufgrund der geänderten Altersstruktur der zweiten Welle finden Sie bei Interesse übrigens im Artikel Die Kliniksituation in Luxemburg hängt den Infektionen hinterher vom 24. Juli 2020 in diesem Blog.

Wie denken Sie darüber? Haben Sie Anmerkungen oder andere Ideen zu diesem Thema? Oder sehen Sie es ganz anders? Schreiben Sie es mir in den Kommentaren.

Claus Nehring

Ich bin freiberuflicher Autor, Journalist und Texter (aka "Schreiberling") aus Luxemburg. Als Informatiker und Statistiker habe ich jahrelange Erfahrung in der Visualisierung und Modellierung großer Datenmengen. Ich beschäftige mich seit mehr als 30 Jahren mit Infektionskrankheiten und publiziere Artikel zu diesem Thema, aus verschiedenen anderen Wissenschafts-Bereichen und aus dem Bereich Internet & Gesellschaft,

6 Kommentare

  1. Lieber Claus .Dein Bericht wurde mir heute morgen von einem guten Freund zugeschickt.Bin gerade in Kur in Mondorf .Habe mich am 14 ten Juli so furchtbar über unsere französischen Cousins aufgeregt.Haette am liebsten eine Bombe ins 36 Grad Becken geschmissen.Kein Abstand,im Schwimmbecken ohne Maske,das ist zu verantworten wenn man Abstand haellt.2 Bademeister die non Stopp durchs Mikrofon die Leute aufgefordert haben Abstand zu halten und nach 20 Minuten aus dem Wasser zu gehen.Ich bin an dem Tag nicht ins Wasser gegangen Es wurde mir hier vom Personal bestaetigt dass immer mehr Gaeste sich über das Tragen der Masken beschweren und vis a vis von dem Personal fresch werden.Das ist unzumutbar .Hier im Hotel Parc Hotel ist alles gut organisiert.Bei jedem Gang zum Buffet ,Maske auf,Haende desinfizieren .Jede halbe Stunde wird das Besteck geweckselt.Mehr geht nicht.In unseren Tests sind ja auch die Grenzgaenger dabei.200000 jeden Tag!!!! Die profitieren von unseren Gratistests.Es waere wichtig zu wissen wieviel von denen infiziert sind.Mehr Kontrollen ,saeftigere Strafen 1000 Euro zB waeren angebracht bei solcher Respektlosigkeit den Mitmenschen gegenüber.Egoismus ist in unserer Zeit nicht angebracht.Wenn man in der Hauptstadt schlendert kann man nicht einschaetzen op man 1,5 oder 2 m von den anderen weg ist.Ich trage meinen Mundschutz um andere zu schützen.Bitte liebe Leute .Tragt ihr eure Masken um mich und uns alle zu schützen.Danke und einen schönen Tag Astrid

  2. Danke für den guten Beitrag. Ich stimme fast allen Punkten vollkommen zu.

    Ich denke es wäre auch noch nützlich, wenn man/die Regierung sich die Ergebnise aus dem nicht-Large Scale Testing genauer anschauen würde. Denn eigentlich müsste man diese Zahl ja mit den Nachbarländer vergleichen. Da diese Zahl auch wesentlicher höher ist (siehe unten), müsste man sich die Frage stellen ob auch hier anders getestet wird.

    Meine Annahme wäre ja: Einerseits ist es durch die grosse Testkapazität in Luxemburg viel einfacher einen Test vom Arzt „verschrieben“ zu bekommen. Andererseits würde ich dadurch auch annehmen, dass man sich in Luxemburg mit viel weniger Symptomen testen lassen kann. Dies war uns in der Anfangszeit auch bekannt: „Ich fühle mich nicht gut, kann ich aber nicht testen lassen, da ich nicht genug Symptome habe“. Aus persönlichen Quellen habe ich gehört, dass dies in den Nachbarländern noch der Fall ist. Dies ist umso wichtiger, da die Symptome nicht bei der jeder Person gleich aussehen und viele Personen asymptomatisch sind.
    Im Zuge wäre es interessant die Symptome und die Ausgeprägtheit diese bei getesten Personen aus dem nicht-Large Scale Testing zu analysieren.

    Ich denke deshab nicht, dass Luxemburger weniger diszpliniert als ihre Nachbarn sind. Aus den Medien und persönlichen Erfahrungen scheint sich die Annahme zu bestätigen (zB nutzten bei meinem letzten Frankreichbesuch weniger als ein Drittel aller Personen in Tankstellen Masken trotz theoretischer Maskenpflicht; nach Berichten von Freunden ist Covid-19 in Paris fast nicht mehr „sichtbar“ in Form von Regeln…).

    Hier noch ein paar Ansätze zu den Zahlen (Stand 15/07):
    – 302´000 Tests, davon 44% not large scale, also 132’000
    – 5’122 Positive Cases, davon 85% not large scale cases, also 4’353

    Dies entspricht einer Infektionrate von:
    4’353 / 132’000 = 3.2%

    Deutschland hat eine Infektionsrate von 0.7%.

    Um die beiden Zahlen vergleichen zu können, würde ich aus den oben genannten 2 Gründen, die Luxemburgische Infektionsrate um 25-50% reduziert werden müsste um eine Vergleichbarkeit zu erstellen.

    Was ist Ihre Meinung zu diesen beiden Annahmen? Kann irgendwo genauere Daten zu getesteten Personen erhalten?

    1. Hallo Herr Theisen,

      zunächst einmal vielen Dank für Ihren Kommentar. Ich würde Ihren Zahlen grundsätzlich zustimmen, möchte dabei allerdings noch auf eines hinweisen. Offenbar hat sich der Anteil von stark symptomatischen Personen in den Tests zuletzt verändert (Paulette Lenert hat von bis zu 80% in der letzten Zeit gesprochen).

      Ich gehe daher für die letzten Wochen von einer deutlich höheren Positivrate von deutlich über 6 % aus, davor dürfte sie um einiges niedriger gelegen haben. Ich denke, dass das auch psychologisch erklärbar ist. In dem Masse, in dem die Angst vor dieser Pandemie nachgelassen hat, ist auch die Bereitschaft zum Testen bei leichten Symptomen zurückgegangen. Dementsprechend lassen sich dann eher Menschen mit stärkeren Symptomen testen und die Positivrate steigt automatisch an.

      Demnach wäre die Positivrate der Tests wohl auch immer ein Indikator für die Nervosität in der Bevölkerung. Wir sollten daher jetzt bei zunehmender Angst auch wieder eine sinkende Positivrate erleben.

      Ich würde das gerne genauer analysieren, das ist aber aufgrund fehlender Daten sehr schwierig. Dazu müsste die Santé tagesaktuell zusätzliche Zahlen liefern, nämlich wie viele der Tests aus dem Large-Scale-Testing und anderen Programmen stammen und wie viele davon positiv waren.

      Warten wir’s mal ab, vielleicht bekommen wir die Zahlen ja eines Tages.

      Liebe Grüße

      Claus Nehring

  3. Sehr guter Artikel ! Ein Faktor bleibt meiner Meinung nach aber in allen Statistiken und Hypothesen unbeachtet: Die Einstellung der Leute! Das Large-Scale-Testing hat eine relativ niedrige Akzeptanz. Testen lassen sich meiner Meinung nach hauptsächlich Leute mit einer eher verantwortungsvollen Einstellung. Dagegen sind die Leute welche dem Test fernbleiben wahrscheinlich auch diejenigen welche keine Abstandsregeln und Maskenpflicht einhalten. Würden sich diese Leute auch testen lassen wäre der Anteil der positiven Tests sicher um einiges höher! Ich gehe deshalb davon aus dass die Large-Scale-Tests kein korrektes Bild der Tatsächlichen Durchseuchung in Luxemburg darstellen!

    1. Hallo Herr Feyder,

      zunächst einmal vielen Dank für Ihren Kommentar. Ich teile Ihre Meinung, dieser Faktor ist in meinem Artikel tatsächlich zu kurz gekommen.

      Allerdings bin ich nicht sicher, ob sich dadurch tatsächlich ein erheblich verfälschtes Bild ergibt. Denn ich gehe schon davon aus, dass die Bereitschaft zum Testen durch die Nervosität in der Bevölkerung zunimmt. Dafür spricht auch die auf mittlerweile rund 60 % angestiegene Teilnahme an den Large-Scale-Tests.

      Sicherlich gibt es nach wie vor eine Anzahl von Leuten, die sich trotz Einladung nicht testen lassen. Aber wenn sich zumindest deren Kontaktpersonen einem Test unterziehen, könnten auch diese Personen über das Kontakt-Tracing über kurz oder lang entdeckt werden. Zumindest hoffe ich das.

      Liebe Grüße

      Claus Nehring

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