Corona und die Strategie für die nächsten Monate
Zuletzt aktualisiert am 16. April 2021 von Claus Nehring
In Luxemburg ist die Zahl der Neu-Infektionen in den letzten Tagen auf einem viel zu hohen Niveau mehr oder weniger konstant und die SARS-CoV-2-Variante B.1.1.7 scheint sich im Land mehr und mehr auszubreiten. Auch die letzten Auswertungen der Kläranlagen des Landes weisen kaum auf eine sich entspannende Lage hin. Es sieht danach aus, als würden wir hierzulande gerade die Anfänge einer exponentiellen Entwicklung erleben, so wie sie in Großbritannien, Irland, Portugal, Dänemark und vielen anderen Ländern bereits eingetreten ist.
Man kann also mit Fug und Recht behaupten, dass die Zeichen gerade auf Sturm stehen, ein längerer Lockdown scheint absehbar und notwendig, um die Pandemie-Situation zumindest so halbwegs unter Kontrolle zu behalten. Deswegen ist es sinnvoll, jetzt einmal ein wenig über eine langfristige Strategie zur Pandemie-Bekämpfung nachzudenken.
Dieser Artikel erklärt, wie es überhaupt zu dieser Situation gekommen ist, was das Auftauchen der neuen SARS-CoV-2-Varianten für uns bedeutet und was aus epidemiologischer Sicht jetzt zur Kontrolle der Situation notwendig sein wird.
Was ist passiert?
Eigentlich ist uns in Luxemburg so ziemlich das passiert, was auch unseren Nachbarn passiert ist. Es hat hierzulande in den letzten Wochen Lockerungen gegeben, und dabei ist ein grober Fehler geschehen. Dieser Fehler liegt in der Öffnung der Schulen, die wider jede wissenschaftliche Vernunft und wohl hauptsächlich mit Blick auf die Belange der Wirtschaft durchgesetzt wurde.
Die halsstarrige Haltung des Bildungs-Ministeriums und des zuständigen Ministers Claude Meisch hat damit höchstwahrscheinlich dafür gesorgt, dass sich das SARS-CoV-2-Virus (und leider vermehrt auch seine ansteckendere Variante B.1.1.7) breitflächig im Land und in den Familien festsetzen konnte. Noch am 26. Oktober, zu einem Zeitpunkt also, an dem die Wochen-Inzidenz bereits deutlich über 500 lag, verkündete das Bildungs-Ministerium gebetsmühlenhaft, dass bisher keinerlei Ansteckungen in den Schulen nachgewiesen wurden (siehe hier im Luxemburger Wort).
Zu diesem Zeitpunkt war aus wissenschaftlicher Sicht längst klar, dass die Schulen zwar vermutlich nicht den Haupttreiber der Pandemie darstellen, aber durchaus einer der wichtigsten Verbreitungswege sein dürften. Und das muss zu diesem Zeitpunkt auch dem Bildungs-Ministerium klar gewesen sein, Warnungen und Hinweise gab es jedenfalls genug. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf den Artikel Sind die Lockerungen und die Schulöffnung in Luxemburg verantwortungslos? vom 7. Januar 2021 in diesem Blog und auf dieses Gutachten der luxemburgischen Santé.
Trotzdem hat sich das luxemburgische Bildungs-Ministerium dazu entschlossen, den einmal eingeschlagenen Weg des Ignorierens wissenschaftlicher Tatsachen beizubehalten und die Schulen zum 11. Januar erneut geöffnet.
Man hat sich hierzulande mit den Maßnahmen leider am Beispiel der Nachbarländer Belgien und Frankreich orientiert, die deutschen Regelungen mit Schulschließungen wurden nicht übernommen. Dabei wurde recht fahrlässig ignoriert, dass unsere deutschen Nachbarn bisher deutlich besser als Belgien oder Frankreich durch diese Krise gekommen sind, man hätte sich wohl eher am Klassenbesten orientieren sollen.
Damit stellt sich die Frage, welche Maßnahmen jetzt notwendig sein werden, damit wir die Pandemie-Situation wieder in den Griff bekommen. Und wie lange wir noch mit diesen Einschränkungen werden leben müssen. Damit befassen sich die nächsten Abschnitte dieses Artikels.
Wie wird es jetzt weitergehen?
Es ist bereits heute absehbar, dass die Corona-Pandemie hierzulande in den nächsten Wochen erneut an Fahrt aufnehmen wird. Dieses Wachstum wird, bedingt durch das zunehmende Auftreten mutierter und infektiöserer SARS-CoV-2-Varianten wie B.1.1.7, vermutlich heftiger ausfallen, als wir das auf Basis der heutigen Daten annehmen (und übrigens auch heftiger, als es bei der Entwicklung ab Mitte Oktober der Fall gewesen ist).
Die luxemburgische Covid-19 Task Force hat die Regierung aus diesem Grunde übrigens bereits vor einer Steigerung auf bis zu 1.200 tägliche Neu-Infektionen bis Mitte März gewarnt. Ähnlich schätzen der deutsche Virologe Christian Drosten und viele andere Wissenschaftler die Situation ein und warnen vor einer dritten Welle mit einer starken Zunahme an Neu-Infektionen durch zu frühe Lockerungen (siehe beispielsweise hier bei N-TV).
Die Santé schätzt den Durchseuchungsgrad in der Bevölkerung derzeit auf ungefähr 10 Prozent, das entspricht dem Resultat einer Hochrechnung auf Basis des Delayed-CFR und einer angenommenen Infektions-Sterblichkeit in Höhe von 0,9 %. In der folgenden Grafik können Sie diese Hochrechnung sehen, im Artikel Die Bedeutung der Dunkelziffer in diesem Blog finden Sie nähere Erklärungen zur Berechnungsmethode.
Ich habe Ihnen hier auch noch einmal dieselben Daten für Deutschland dargestellt, um die enormen Vorteile der luxemburgischen Teststrategie noch einmal zu visualisieren. Denn die hohe Anzahl der Tests sorgt hierzulande für eine erheblich niedrigere Dunkelziffer. Und weniger unerkannte Infizierte in der Bevölkerung sorgen wiederum für eine weitaus bessere Kontrolle des Infektions-Geschehens, das wird aus diesen Grafiken mehr als deutlich.
Aber damit ist derzeit keine nennenswerte Durchseuchung in der Bevölkerung gegeben, die uns bei der Pandemie-Bekämpfung behilflich sein könnte. Deswegen werden wir für die nächsten Monate (mindestens bis zum Beginn der Terrassen-Saison) weiterhin mit eher harten Einschränkungen leben müssen. Man kann das nun mögen oder nicht, aber man sollte die Tatsachen nicht einfach ignorieren. Und im Moment sieht alles danach aus, als ob der deutsche Weg der harten Maßnahmen wohl auch der richtige Weg wäre.
Einen ständig aktualisierten Vergleich der Eindämmungs-Maßnahmen der verschiedenen Länder finden Sie übrigens bei Interesse hier bei OurWorldInData, die nachfolgende Grafik stellt die luxemburgischen Maßnahmen im Vergleich zu Deutschland, Frankreich, Belgien, Spanien und den Niederlanden dar und gibt die Entwicklung zwischen dem 15. Juni 2020 und dem 23. Januar 2021 wieder.
Werden wir im Sommer niedrige Zahlen sehen?
Auch diese Frage lässt sich unglücklicherweise recht eindeutig beantworten. Nach allem, was wir derzeit wissen, ist sommerliches Wetter alleine nicht ausreichend, damit sich dieses Virus zurückzieht. Die Situation in Südafrika zeigt uns gerade überdeutlich, dass sich die ansteckenderen Mutationen des SARS-CoV-2-Virus auch bei sommerlichen Temperaturen in katastrophaler Geschwindigkeit ausbreiten können. Und die Daten aus Ländern, in denen die B.1.1.7-Variante präsent ist, zeigen ein sehr einheitliches Wachstum und eine sehr schnelle Verbreitung. Wir sollten uns also keinesfalls in falscher Sicherheit wiegen.
Sicherlich ist die Gefahr im Sommer durch den Aufenthalt im Freien etwas geringer. Aber um davon profitieren zu können, werden die Wochen-Inzidenz bis dahin merklich verringern müssen. Und um das hinzubekommen, werden wir um härtere Maßnahmen nicht herumkommen. Umso früher wir diese Maßnahmen einführen, desto schneller werden wir das Ziel erreichen. Und letztlich dürfte der Wirtschaft ein früher und kürzerer Lockdown mehr bringen, als ein zu spät begonnener und dann länger andauernder.
Deutsche Wissenschaftler um die Virologin Melanie Brinkmann haben dazu ein sehr interessantes Positionspapier erarbeitet, mit dessen Hilfe sich sogenannte Green-Zones mit sehr niedrigem Infektions-Geschehen und funktionierendem Kontakt-Tracing etablieren lassen (die ZEIT hat hier darüber berichtet). Allerdings erfordert die Umsetzung solcher Ideen sofortige Reaktion, das Zeitfenster wird von Tag zu Tag kleiner.
Welche Einschränkungen sind aus epidemiologischer Sicht jetzt notwendig?
Der weitaus größte Teil des hiesigen Infektions-Geschehen dürfte dem Geschehen in den Schulen und Unternehmen geschuldet sein. Ich habe die jetzt notwendigen Maßnahmen bereits im Artikel Sind die Lockerungen und die Schulöffnung in Luxemburg verantwortungslos? vom 7. Januar 2021 in diesem Blog geschildert, das Wichtigste daraus finden Sie hier noch einmal in Kurzform.
Schulen, Universitäten und Kindergärten
Man mag es drehen und wenden, wie man möchte, aber jüngere Menschen spielen im Infektions-Geschehen eine wichtige Rolle. Sie mögen nicht der Haupttreiber der Pandemie sein, aber sie haben durch die potentielle direkte Streuung in viele verschiedene Haushalte hinein einen enormen Multiplikator-Effekt.
Junge Menschen sind im Infektions-Verhalten nach den bisher vorliegenden Studien zumindest ab ungefähr 14 Jahren mit Erwachsenen vergleichbar, nach einer neueren und ziemlich umfassenden Studie aus Bremen (mehr dazu hier bei News4Teachers) könnte das leider auch für jüngere Kinder gelten. Mehr über die Rolle von Kindern und Jugendlichen in der Corona-Pandemie finden Sie bei Interesse auch in diesem Artikel aus republik.ch vom 1. Februar 2021.
Deswegen sollten aus epidemiologischer Sicht alle Schulen, Universitäten und Kindergärten möglichst umgehend schließen und auf Home-Schooling umstellen. Und zwar JETZT. Für bestimmte Sonderfälle, in denen das nicht möglich ist (Betreuung durch die Eltern nicht gewährleistet, Eltern in systemrelevanten Berufen usw.), müssen Sonder-Regelungen gefunden werden. Ein Beispiel dafür findet sich in Bayern, dort machen diese Sonderfälle in den Kitas momentan ungefähr 22 % aus (nachzulesen beispielsweise hier beim Bayerischen Rundfunk). Eine ähnliche oder noch geringere Quote dürfte auch in Luxemburg problemlos erreichbar sein.
Die Öffnung von Schulen bei einer Wochen-Inzidenz von über 50 mag wirtschaftlich vertretbar sein, aus wissenschaftlicher Sicht ist sie schlicht verantwortungslos (derzeit liegen wir in Luxemburg bei knapp 135). Wenn wir es hierzulande schaffen, wieder unter die Schwelle von 50 zu kommen, dann kann man über eine vorsichtige Wiedereröffnung (mit A/B-System und Antigen-Schnelltests vor dem Betreten) nachdenken.
Anmerkung: Mehr über Antigen-Schnelltests finden Sie übrigens im Artikel Antigen-Schnelltests – Game-Changer oder trügerische Hoffnung?, mehr zu den angesprochenen SARS-CoV-2-Mutanten gibt’s im Artikel Die weitreichenden Folgen der neuen SARS-CoV-2-Varianten.
Unternehmen und Behörden
Natürlich gibt es Bereiche, in denen Home-Office nicht möglich ist. Genauso wie es Bereiche gibt, die für das Funktionieren der Gesellschaft unabdingbar sind (Müllabfuhr, Polizei, Pflegedienste, Gesundheitswesen usw.), und die sich unmöglich ohne physische Präsenz darstellen lassen.
Diese Bereiche können nicht geschlossen werden, aber durch den regelmäßigen Einsatz von Antigen-Schnelltests und durch bevorzugte Impfung dieser Gruppen lässt sich das Risiko von Neu-Infektionen deutlich verringern. Deswegen sollten solche Schnelltests in diesen lebenswichtigen Bereichen ganz oben auf der Prioritätenliste der Regierung stehen.
Für alle Unternehmen und Behörden, in denen die Möglichkeit dazu besteht, sollte möglichst schnell ein gesetzlicher Rahmen geschaffen werden, der das Angebot von Home-Office-Lösungen für den jeweiligen Arbeitgeber verpflichtend macht.
Einreisebestimmungen
Seit meinem letzten Artikel hat die luxemburgische Regierung die Einreisebestimmungen deutlich verschärft. Ich unterstütze diese Regelungen ausdrücklich, weil sie auf einem europäischen Konsens beruhen. Einzelstaatliche Regelungen würden nur zur Umgehung einladen und deswegen keinen allzu großen Sinn machen.
Die in der gestrigen Pressekonferenz (die Aufzeichnung gibt’s hier auf YouTube) verkündeten Regelungen scheinen auf den ersten Blick durchaus zielführend und ausreichend zu sein, eine endgültige Beurteilung wird aber erst mit dem Vorliegen der genauen Spezifikationen Ende der Woche möglich sein.
Der Horesca-Sektor
Das größte Sorgenkind der Wirtschaft dürfte momentan wohl der Horesca-Sektor sein, weil die Eindämmungs-Maßnahmen diesen Sektor am härtesten getroffen haben. Und sie werden ihn auch weiterhin hart treffen, denn eine Wieder-Eröffnung der Innenräume von Restaurants und Cafés wird kaum vor Beginn des Sommers möglich sein.
Ich war noch vor einigen Wochen der Meinung, dass wenigstens eine Wieder-Eröffnung der Restaurants unter zusätzlichen Auflagen möglich sein könnte. Diesbezüglich habe ich meine Meinung mittlerweile leider ändern müssen. Die jetzt grassierenden SARS-CoV-2-Varianten mit ihrer wohl um mindestens 35 Prozent höheren Infektiösität werden eine solche Öffnung auch in den nächsten Monaten leider kaum zulassen.
Man sollte allerdings darauf hinarbeiten, die Terrassen unter Auflagen wieder zu öffnen, sobald die Nachmittags-Temperaturen wieder auf Werte um die 20 °C ansteigen. Denn zum einen ist das Infektions-Risiko in der frischen Luft doch um einiges geringer, und zum anderen würde eine Öffnung der Terrassen möglicherweise auch den Wunsch nach privaten Feiern wieder etwas einschränken.
Sonstige Lockerungen
Ansonsten hat sich im Prinzip an meiner Einschätzung der Lockerungsmaßnahmen, die ich am 7. Januar 2021 im Artikel Sind die Lockerungen und die Schulöffnung in Luxemburg verantwortungslos? in diesem Blog beschrieben habe, nichts Grundlegendes geändert.
Hilfen für Selbständige
In diesem Bereich liegt offenkundig so einiges im Argen. Denn die beschlossenen Hilfen sehen auf dem Papier zwar nett aus, kommen aber in vielen Fällen nicht bei den gewünschten Empfängern an. Berufsgruppen aus dem medizinischen Bereich bleiben sogar vollständig außen vor, weil sie aufgrund der nicht erforderlichen Niederlassungsgenehmigung durch das Mittelstand-Ministerium die Hilfen noch nicht einmal beantragen können. Hier hat sich offenbar die Bürokratie einmal mehr ein wenig „vergaloppiert“.
Deswegen an dieser Stelle ein Vorschlag zur Vereinfachung. Warum nicht einfach von jedem Selbständigen hierzulande eine monatliche Aufstellung über den Umsatz abzüglich der Fixkosten des Betriebs (Miete, Schuldenbedienung etc.), der laufenden Kosten (Strom, Heizung, Wasser, Fahrtkosten usw.), der tatsächlich gezahlten Gehälter und Sozialversicherungsabgaben sowie eines Pauschalbetrages für Fahrzeugkosten (um die Einrechnung von Luxus-Fahrzeugen zu vermeiden) verlangen. Alle Kosten werden nur dann berücksichtigt, wenn sie sich durch entsprechende Bankauszüge belegen lassen.
Danach könnte man sich dann auf einen Sockelbetrag einigen (z.B. das 1,5-fache des Mindestlohnes plus Pauschalbeträge pro Kind im Haushalt). Die monatliche Beihilfe würde dann in der Erstattung aller Verluste aus der Betriebsführung bis zu diesem Betrag bestehen.
Dass würde die Berechnung deutlich vereinfachen, jedem Selbständigen die Beantragung ohne Zuhilfenahme eines Steuerberaters ermöglichen und die Missbrauchs-Möglichkeiten deutlich einschränken. Denn zum einen können nur tatsächlich gezahlte Beträge als Kosten angesetzt werden, zum zweiten lässt sich ein etwaiger Missbrauch sehr einfach durch einen Abgleich mit der jährlichen Steuererklärung erkennen. Außerdem würde es eine gewisse Art von Beihilfe-Gerechtigkeit schaffen, weil der Staat oberhalb eines festgelegten monatlichen Betrages nicht mehr zur Hilfeleistung herangezogen werden würde und die Hilfsgelder unbürokratisch und schnell bei denen ankämen, die sie tatsächlich benötigen.
Die gute Nachricht – es gibt auch ein exponentielles Absinken
Wir reden immer viel von einer exponentiellen Steigerung und vergessen dabei leicht einmal, dass das auch andersherum geht. Denn es gibt durchaus auch eine exponentielle Absenkung, und genau die benötigen wir jetzt. Darum sollten wir jetzt ziemlich genau auf den R-Wert achten.
Denn ein R-Wert über 1 gibt eine Steigerung an, umso höher der Wert liegt, desto schneller verdoppeln sich die Zahlen (die sog. Verdoppelungszeit). Liegt R bei 1,2, dann verdoppelt sich die Anzahl der Neu-Infektionen alle 15,21 Tage, bei einem R von 1,5 sind es nur noch 6,84 Tage.
Das geht für einen R-Wert unterhalb von 1 aber genauso, in diesem Fall reden wir von der sog. Halbwertszeit (die Zeit, in der sich die Anzahl der Neu-Infektionen halbiert). Bei einem R-Wert von 0,9 halbiert sich die Anzahl in 26,32 Tagen, bei einem R-Wert von 0,7 sind es schon 7,77 Tage.
Wenn wir es also schaffen würden, einen R-Wert von 0,7 zu erreichen, dann könnten wir unsere derzeitige Wochen-Inzidenz von 134,66 (Stand: 25. Januar 2021) durch eine zweimalige Halbierung innerhalb von gut zwei Wochen auf 33,67 drücken. Verstehen Sie, worauf ich hinauswill?
Dieser R-Wert ist nämlich von unseren Kontakten untereinander abhängig. Wenn wir keinen Kontakt untereinander zulassen bzw. diesen Kontakt einschränken, dann wird der R-Wert dementsprechend sinken. Wir müssten also nur für zwei bis drei Wochen unsere Kontakte um die Hälfte reduzieren, und das Problem wäre gegessen.
Leider wird es in der Realität aufgrund der höheren Infektions-Rate der neu aufgetauchten Mutationen wohl etwas länger dauern, aber in zwei Monaten und mit einer Kontakt-Reduktion um 30 bis 40 Prozent sollte es trotzdem zu machen sein.
Hier ist der Deal
Also wäre hier der Deal, und zwar der beste Deal, den wir noch bekommen können.
Wenn wir es als Gesellschaft schaffen, unsere Kontakte untereinander für zwei Monate um 40 Prozent zu reduzieren, dann werden wir diese Pandemie im Sommer soweit zurückgedrängt haben, dass die Nachverfolgung der Kontakte wieder funktioniert und wir uns auf einen schönen Sommer freuen können (auch wenn’s dann immer noch mit Mund-Nasen-Schutz und leichten Einschränkungen sein wird). Klingt machbar, oder?
Wenn wir’s allerdings nicht schaffen, dann dürfte uns ein eher unerquicklicher Sommer bevorstehen.
Die zweite gute Nachricht – Immunität und Impfung funktionieren
Es gibt noch einen weiteren Faktor, der uns ab dem Sommer zugutekommen wird. Denn wir wissen mittlerweile, dass die Immunität nach einer Corona-Infektion bzw. nach einer Impfung wohl ziemlich lange anhalten dürfte. Nach einer aktuellen Studie sieht es danach aus, als würde das lange Verbleiben des SARS-CoV-2-Virus im Körper (es bleibt über Monate im Darmbereich nachweisbar) dazu führen, dass das Immunsystem sehr spezifische Gedächtniszellen ausbildet, die bei einer späteren Neu-Infektion eine sehr schnelle und wirkungsvolle Immunantwort garantieren.
Die zweite gute Neuigkeit in diesem Zusammenhang ist, dass die Impfstoffe von BioNTech und Moderna aufgrund der sehr breiten Immunantwort gegen das Spike-Protein höchstwahrscheinlich auch gegen die in Großbritannien, Südafrika und Brasilien aufgetauchten SARS-CoV-2-Varianten wirken werden. Hier finden Sie eine entsprechende Studie zum Impfstoff von BioNTech. Und hier auf Twitter gibt es einen sehr guten und lesenswerten Beitrag zum Thema, in dem auch die oben genannte Studie aufgegriffen wird.
Nachdem es mittlerweile so aussieht, als würden zumindest BioNTech und Moderna die zwischenzeitlichen Lieferschwierigkeiten zeitnah in den Griff bekommen (bei AstraZeneca bleibt das noch abzuwarten), ist das eine sehr gute Nachricht für uns. Weil es nämlich bedeutet, dass wir die bis zum Sommer bereits geimpften Personen zu der natürlichen Durchseuchung hinzurechnen können.
Wenn wir es schaffen, bis zum Sommer 40 Prozent unserer Bevölkerung zu impfen, dann haben wir vermutlich einen großen Teil der Hochrisiko-Gruppen vor den schlimmsten Folgen einer Covid-19-Erkrankung geschützt. Und das gleiche gilt für einen Großteil des Personals im Gesundheitswesen.
Das bedeutet zwar dann immer noch nicht, dass wir normal leben und eine Durchseuchung der jüngeren Bevölkerung zulassen dürften, weil das viel zu risikoreich wäre (sowohl für die Situation in den Kliniken als auch in Bezug auf mögliche Spätfolgen). Wir werden also auch dann immer noch mit einigen Einschränkungen und dem tragen eines Mund-Nasen-Schutzes leben müssen.
Aber es bedeutet, dass im Sommer ungefähr die Hälfte von uns (und zwar die gefährdetere Hälfte) vor den Gefahren eines schweren Verlaufs einer Covid-19-Erkrankung geschützt sein dürfte. Und das wiederum bedeutet, dass wir dann bei sommerlichen Temperaturen zumindest einen Teil unseres normalen Lebens wiederbekommen werden.
Fazit
Wir haben etwas weiter oben gesehen, auf welche Art und Weise wir unseren R-Wert soweit senken können, dass wir langsam wieder eine kontrollierbare Situation bekommen. Wir werden also über runde zwei Monate hinweg die Anzahl unserer Kontakte untereinander noch einmal ziemlich stark reduzieren müssen.
Was eigentlich eine gute Nachricht ist, weil zwei Monate ja ein ziemlich kurzer Zeitrahmen sind. Die schlechte Nachricht ist allerdings, dass wir das jetzt schnell tun müssen. Denn die Anzahl der Neu-Infektionen wird in den nächsten zwei bis drei Wochen zunehmen, ohne dass wir irgendetwas dagegen tun könnten. Weil diese Infektionen nämlich gerade jetzt passieren.
Eine Kontakt-Reduzierung von morgen wird sich erst auf das Infektions-Geschehen in ungefähr zwei bis drei Wochen tatsächlich auswirken. Und für einen Einfluss auf die Belegung in den Kliniken dauert’s noch einmal zwei Wochen länger. Ein einziger Kontakt, den Sie morgen nicht haben, könnte also durchaus dazu führen, dass wir in sechs Wochen 100 Neu-Infektionen und 1 Todesfall weniger sehen werden und das 6 oder 7 Menschen nicht im Krankenhaus landen.
Aber um auch nur den Hauch einer Chance auf eine Kontakt-Reduzierung von 40 Prozent zu haben, brauchen wir die sofortige Schließung der Schulen und jede Home-Office-Lösung, die wir irgendwie hinbekommen können.
Und zwar jetzt sofort, nicht erst dann, wenn die Zahlen wieder ansteigen. Denn jeder Tag, den wir länger damit warten, wird uns eine zusätzliche Woche der Kontakt-Reduzierung aufzwingen. Und das wollen wir doch wohl alle eher nicht.
Aus epidemiologischer Sicht dürften uns die letzten zwei Wochen der Lockerungen (und insbesondere die Öffnung der Schulen) bedenklich nahe an den Rand des Abgrunds gebracht haben. Wir wissen mittlerweile
- dass die SARS-CoV-2-Variante B.1.1.7 in den Schulen hierzulande präsent ist (siehe beispielsweise hier im Tageblatt),
- dass sich diese Variante hierzulande immer stärker ausbreitet (laut einem Bericht von RTL vom 26. Januar 2021 gibt es mittlerweile 36 bestätigte Fälle im Großherzogtum),
- wir kennen die Stellungnahme der SEW zum Thema (siehe beispielsweise hier im Luxemburger Wort)
- und wir kennen die Hochrechnungen der luxemburgischen Covid-19 Task Force für den Fall einer Ausbreitung der Variante B.1.1.7.
Womit sich jetzt die Frage stellt, wie lange das luxemburgische Bildungsministerium noch damit warten möchte, endlich auf diese Informationen zu reagieren. Die Zeit für verantwortliche und wissenschaftsgetriebene Entscheidungen ist JETZT gekommen, ein weiteres Festhalten am Narrativ „In der Schule steckt sich niemand an“ ist hochgefährlich und könnte uns in der jetzigen Situation über den oben erwähnten Rand des Abgrunds stoßen.
Also, lieber Herr Bildungsminister Claude Meisch, handeln Sie bitte jetzt und beenden Sie auf der Stelle das Hochrisiko-Experiment „Schulöffnung um jeden Preis“. Denn wenn Sie damit noch die drei Wochen bis zum Beginn der Karnevals-Ferien warten, dann wird es zu spät sein und wir werden alle den Preis für Ihr Abwarten in Form eines längeren Lockdown bezahlen müssen. Noch eine Warnung werden wir nämlich nicht bekommen.
Und Sie, liebe Mitbürger, seien Sie bitte ein Teil der Lösung und nicht des Problems. Lassen Sie sich testen, wann immer Sie die Möglichkeit dazu bekommen, verzichten Sie soweit wie möglich auf soziale Kontakte und lassen Sie sich impfen, sobald es möglich ist. Glauben Sie den Wissenschaftlern und Politikern, nicht den Querdenkern, die mit ihrem Quatsch die sozialen Netzwerke fluten. Und vor allem glauben Sie daran, dass wir auch diese Krise meistern werden, wenn wir alle zusammenhalten.
In eigener Sache: Wenn Ihnen dieser Artikel gefällt, dann können Sie mir das Schreiben und Recherchieren gerne mit einem Kaffee oder einer kleinen Spende versüßen. Eine Möglichkeit dazu finden Sie auf der Seite Buy me a coffee.
Wie denken Sie darüber? Haben Sie Anmerkungen oder andere Ideen zu diesem Thema? Oder sehen Sie es ganz anders? Schreiben Sie es mir in den Kommentaren.
Durch das Abschicken des Kommentars werden die eingegebenen Daten in der Datenbank dieser Website gespeichert. Ausserdem speichern wir aus Sicherheitsgründen Ihre IP-Adresse für einen Zeitraum von 60 Tagen. Weitere Informationen zur Datenverarbeitung finden Sie in der Datenschutz-Erklärung.